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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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irgendwie mußte das Fleisch ja konserviert werden –, war nicht einmal warm, nur ein Kreis aus weißer Asche mit dunklen Kohlenresten darin. Das Reh – die minderwertigen Fleischstücke, die sie gestern in der Hektik gar nicht mehr beachtet hatten – baumelte von einem dünnen Draht wie die Indizien einer irrwitzigen Lynchjustizorgie, der Kopf in bizarrem Winkel abgebogen, das Rückgrat ein blauschwarzer Knochenstreifen. Während er erst gepennt und dann am Pool herumgelegen hatte wie ein Bauchschußopfer, war das tote Tier von den Fliegen zur Spielwiese erkoren worden, aber es betraf ihn nicht im mindesten. Er gab sich nicht einmal die Mühe, die Hand zu heben und sie zu verscheuchen. Und das Fleisch – das Reh, sein großer Triumph – begann bereits zu stinken.

Teil II
THIRTYMILE RIVER
    Das Weib hat nicht Macht über ihren eigenen Leib,
    sondern der Mann, desgleichen hat der Mann nicht
    Macht über seinen eigenen Leib, sondern das Weib.
    1. Brief des Paulus an die Korinther, 7, 4

7
    Cecil Harder stärkte sich an der Theke des Three Pup Roadhouse, einen knappen Kilometer hinter Boynton auf der Straße nach Fairbanks. Er war bei seinem dritten Oly und beim zweiten Wild Turkey, und in etwa drei Minuten würde er durch die Fliegendrahttür hinausstapfen, sich in Richard Schraders Pickup schmeißen und die restlichen zweihundertneunundfünfzig Kilometer in die Stadt fahren. Er brauchte ein paar Sachen für sein Blockhaus – einen neuen Griff für die Axt, Isolierband, Petroleum für die Lampen, Reis, Gewehrpatronen, Bohnen, Hefe, Zucker –, und Richard hatte ihm auch eine längere Liste mitgegeben, aber das alles war nicht der Grund für seinen Abstecher in die Großstadt.
    Er hob den Kopf von den Händen und sah sich um. Die Luft in der Kneipe war dicht wie eine Wand aus abgestandener Finsternis, auf die das Sonnenlicht in zwei dünnen Streifen aus Staub genagelt zu sein schien. Moskitos tauchten auf und verschwanden, alles andere als regungslos, warfen sich gegen beide Seiten der Fensterscheiben wie in einer Art Wettbewerb. Er kippte sich den Wild Turkey rein und nahm einen langen Schluck von seinem Bier.
    Eine neue Frau arbeitete in der Kneipe, eine Sommerjobberin, eine Touristin, mager und ausdruckslos wie ein Gefängniswärter – und zwar ein männlicher Wärter aus einem Film mit Jimmy Cagney –, sie kam gerade hinter dem Perlenvorhang hervor, der die Grillküche vor neugierigen Blicken schützte, in der Hand sein Schinken-Käse-Sandwich, eingewickelt in ein Blatt Wachspapier. Sie hieß Lynette, war Mitte Fünfzig, und es mußte wohl eine lange kalte Nacht in einem langen kalten Winter kommen, bis jemand sie zweimal ansah. Am anderen Ende saß Skid Denton. Sess kannte ihn als Stammgast von The Nougat, dem einzigen anderen Ort, wo man was zu trinken kriegen konnte in Boynton, Einwohnerzahl: 170. »Hallo, Lynette«, sagte Skid, »Sess fährt für eine kleine Einkaufstour nach Fairbanks, weißt du schon?«
    Sie legte das Sandwich hin, als wäre es eine Vierteltonne schwer, schenkte ihm ein Grinsen, das kaum ihre Lippen kräuselte, und zog an ihrer Zigarette. Sie arbeitete hier nur. Hatte erst vor kurzem angefangen. Sie tauschte mietfreies Wohnen in einer Hütte hinter der Kneipe und alles, was sie essen und trinken konnte, gegen null Gehalt und null Trinkgeld, solange Wetzel Setzler, der Besitzer der Kneipe, nicht da war. Wie jetzt zum Beispiel. »Ach ja?« sagte sie und sah von einem zum anderen.
    Sess sah beiseite. Er war ungeduldig. Langsam wurde es Zeit zum Aufbrechen, wirklich, und er stellte sich schon vor, wie die vertraute plattgewalzte breite Schotterstraße unter seinen Reifen abrollte, bis sich der erste Asphalt seit sieben oder acht Monaten wie Glatteis unter ihm erstrecken würde, wenn er in die Stadt einritt, und dann die Läden und Häuser und Bars. Er trank sein Bier aus, zuckte die Achseln.
    »Er will sich da ’ne Frau schnappen, stimmt doch, Sess?«
    In diesem Augenblick wurde ihm klar, warum er den Kerl nicht mochte – er redete so, wie sich ein Tourist vorstellte, daß man in Alaska redete, dabei war er in Los Angeles aufgewachsen und hatte einen Abschluß in Romanistik. »Du weißt schon, schnell ein bißchen Mehl kaufen, dann noch Eier, Milch, eine neue Frau und so weiter ...«
    Lynette trug ein verblichenes Flanellhemd, bis oben hin zugeknöpft, Bluejeans und Stiefel. Ihr Haar war kurzgeschoren wie bei einem Mann, sie war von Seattle in einem brandneuen Kombi raufgekommen, und

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