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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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bleibt, um ...« Er sprach nicht weiter. Selbst mit ihr im Wagen – sie saß tatsächlich neben ihm, lebendig und atmend, und warf ihm Blicke zu, die wie Marschflugkörper auf ihn loszischten – konnte er sich immer noch kaum vorstellen, wie sie durch die Tür seines Blockhauses trat. Danach verblaßte das Bild.
    Aber sie sagte, klar doch, sicher hatte sie Hunger, und zwanzig Minuten später eskortierte er sie die ausgebleichten Holzstufen des Three Pup hinauf und war dabei so stolz, als hätte er sie aus Lehm geformt und ihr höchstpersönlich Leben eingehaucht.
    Es war acht Uhr abends, und die Sonne brannte auf sie nieder und zeigte alle ihre Zähne. Die Bäume waren an ihre Schatten angepflockt, die Gästebungalows, in denen seit zehn Jahren kein Gast mehr gewohnt hatte, versanken still und heimlich in der weichen Tundra, Vögel flitzten über die verrostenden Schneeräumgeräte dahin, die auf dem Hof verstreut lagen. Man hörte das Rattern des Generators und, davon fast übertönt, das Sirren der Moskitos – natürlich waren sie da, allgegenwärtig wie immer, doch inzwischen war die Tagesschicht heimgeflogen, um sich nach dem schweren Frühstück, Mittag- und Abendessen auszuschlafen, und die Nachtschicht hatte übernommen. Er erschlug gleich ein halbes Dutzend, das seinen Unterarm angepeilt hatte, und wedelte aus Beschützerinstinkt mit der Hand über Pamelas Kopf, während sie sich durch die Fliegengittertür schoben, hinter der sie sogleich das ewige Zwielicht der Kneipe umfing.
    Die halbe Ortschaft war am Tresen versammelt, darunter auch Richard Schrader und Skid Denton, der aber wohl in der Zwischenzeit zu Hause gewesen sein mußte, denn selbst er konnte ja kaum neuneinhalb Stunden lang durchgesoffen haben – oder doch? Sobald sie hereinkamen, erhob sich allgemeines Gequatsche, einzelne Leute bewiesen echten Mutterwitz mit Kommentaren wie: »Sieh mal an, was die Katze von draußen reingebracht hat!« Ein paar von den Kerlen pfiffen sogar bei Pamelas Anblick. Die daraufhin die Hände in die Höhe streckte und eine kleine Pirouette für sie drehte. Schüchternheit gehörte nicht zu ihren Problemen, das war offensichtlich.
    Sie bestellten Bier an der Bar, und er genoß den süßen Duft ihrer Nähe, das blonde Bündel ihres Haars, das sie zu einem prosaischen Zopf geflochten hatte, die Kraft und Komplexität ihrer Beinmuskulatur, ihr Lächeln. Er bestellte Salznüsse, Knabberwürstchen und Soleier, dazu Whiskey zum Bier für beide, und Lynette grillte ihnen zwei Steaks, wobei ihr Pistolenhalfter an der Hüfte baumelte wie ein überflüssiger Hautlappen. Es war ein wirklich wunderbarer Moment, so grandios und unverfälscht, daß er ihn am liebsten nie mehr losgelassen hätte.
    Beim Steak, das sie an einem Ecktisch verspeisten, erzählte sie ihm, was er schon gewußt oder geahnt oder anderswo gehört hatte. Sie war in Anchorage geboren und aufgewachsen, aber in ihrer Kindheit hatte der Vater die Familie – sie und ihre Schwester und die Mutter – jeden Sommer in die Endicott Mountains der Brooks-Kette zum Zelten mitgenommen, wo er in namenlosen Flüssen in namenlosen Canyons nach Gold suchte und ungefähr jeden dritten Tag mit etwas für den Kochtopf zurückkehrte. Sie hatten eine Vereinbarung mit einem Buschpiloten, der sie gleich nach Schulschluß dort absetzte, und gegen Ende September kehrte das Flugzeug zurück, um sie alle wieder abzuholen – was tat es schon, daß sie zwei Monate lang die Schule versäumten? Sie und ihre Schwester Priscilla konnten angeln und herumstreifen und Vögel aufscheuchen, abends den Wölfen lauschen und praktisch jeder erdenklichen Kreatur von Angesicht zu Angesicht begegnen, die nördlich des Polarkreises lebte. Und jetzt, da sie mit dem College fertig war, siebenundzwanzig Jahre alt und völlig entnervt von ihrem Acht-Stunden-Job in einer Stadt aus Stahl und Beton, wollte sie wieder zurück in die Natur, und nicht nur für einen Urlaub, nicht als Touristin oder Teilzeittrapper, sondern für immer. Das war’s. Darum ging es ihr.
    Er fing gerade an, die Auswirkungen des langen Tages zu spüren – die beiden Autofahrten, den Alkohol, die Erregung, die ihm ganz hinten in der Kehle brannte wie ein Schluck Canadian Whiskey in einer Nacht unter Null –, als er sich von ihren Augen losriß und Joe Bosky anmarschieren sah. »Scheiße«, sagte er. »Wir müssen jetzt los.«
    »Jetzt schon? Willst du mich nicht zum Tanzen auffordern? Wenigstens einmal – einen einzigen

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