Drop City
einem Jagdgewehr und zwei blitzenden Kupfermantelpatronen anstellen konnte, aber sie hatten kein Interesse, denn inzwischen herrschte Krieg, und jeder mußte sich entscheiden. Und dieser Entschluß war für Pan völlig klar. Er war für die Seite der Sieger, die Seite, auf der alle Weiber und das Essen und das große Haus mitsamt den Lautsprechern und den fünf- bis achthundert Schallplatten waren, die sich ohne jede Ordnung in den lackierten Bücherregalen reihten, und gab es auch nur einen einzigen Radiosender im ganzen Land mit einer besseren Sammlung?
Rufe und Gelächter ereilten ihn auf dem Rasen, und aus dem großen Haus wummerte die Musik. Er stand im Gebüsch, wo er sich gerade den Reißverschluß hochgezogen hatte, nachdem er dem Ruf der Natur gefolgt war, und er spürte Kopfschmerzen nahen. Es war echt ein harter Tag gewesen, und er fühlte sich alles in allem ziemlich prächtig, aber was er jetzt brauchte, war vielleicht ein bißchen von diesem süßen Rotwein, den Star sich dauernd reinschüttete – oder etwas Mateus Rosé, falls irgendwer welchen hatte. Klar. Das brauchte er, einfach um die Kopfschmerzen loszuwerden und den Abend lässig abzurunden, also marschierte er über den Rasen dorthin, wo die Schatten um das Lagerfeuer tanzten.
Star war nicht dort. Oben im Baumhaus war sie auch nicht, denn er kraxelte extra die Leiter rauf, um nachzusehen, und sie war auch nicht im großen Haus, wo ein halbes Dutzend Leute ihn anzischelten, weil sie sich gerade einen Stummfilm ansahen, den Norm aus der Leihbücherei angebracht hatte, um ein bißchen Frohsinn und Spaß in die Sache zu bringen. Ronnie blieb eine Weile in dem dunklen Raum und sah zu, wie das Licht über eine arktische Landschaft spielte, bis ein Eskimo ins Bild trat, die Augen zwei Schlitze, den heftigen Wind in seinem Parka, und ein Iglu aus frisch geschnittenen Schneeblöcken baute. Er hatte ein Messer von der Größe einer Machete und verlor keine Zeit, denn man sah den Sturm wüten, und der Atem gefror ihm in den Fusseln seines Barts, jeder Block paßte perfekt, einer auf den anderen, und als er den letzten Schneequader in die letzte Lücke im Dach der Kuppel einsetzte, applaudierte alles. »Echt irre, dieser Nanuk«, sagte Norm, der auf dem Boden ausgestreckt dalag, eine Steppdecke bis zum Kinn gezogen, »und da reden wir davon, von der Natur zu leben, Mann ...«
Am nächsten Morgen – oder nein, es mußte schon Nachmittag sein, keine Frage – erwachte Ronnie so ruckartig, daß es den ganzen Raum erschütterte wie ein Schiff, und der Traum, wovon er auch gehandelt haben mochte, schwand dahin, ehe er ihn festhalten konnte. Auch gut, denn er fühlte die Adern an seiner Kehle, die vom hektischen Gepoche seines Herzens ganz angeschwollen waren – er hatte versucht, vor irgendwem oder irgend etwas zu fliehen, ein Traum voll düsterer gewundener Gänge und kreischender Fratzen –, und jetzt lag er plötzlich wach in der offensichtlichen Welt der Sinne, wo ein feiner Film aus Schweiß seinen Körper überzog und in den Schlafsack sickerte, der jeden Tag kräftiger nach Schimmel und Ammoniak und schleichender Verwesung stank. Neben ihm, mit leisem Rasseln durch den offenen Mund schnarchend, lag Lydia, die Arme wie eine Gekreuzigte von sich gestreckt. Ihre dunklen Brustwarzen sahen aus wie Strickmützen, die auf den weißen Kuppeln ihrer Brüste saßen, und ihre Brüste wirkten wie zwei schlaffe, fette weiße Menschen mit Strickmützen, die sich über die vierspurige Fahrbahn ihres Brustkorbs hinweg unterhielten. Ein schmaler Strich aus rabenschwarzem Haar zog sich vom Nabel bis zu ihrem Busch. Sie hatte auch Haare unter den Achseln, Haare an den Beinen, und ein feiner Streifen wuchs ihr auf der Oberlippe. Sie schwitzte. Ihre Lider zuckten. Er blieb eine Minute liegen und betrachtete sie, dabei ließ er sein Herz von dem Sims hinabklettern, auf dem er es am Abend abgelegt hatte, und er fühlte sich, als wäre er während der Nacht aus Ramschteilen zusammengesetzt worden. Sein Magen ballte sich zur Faust und entspannte sich wieder. Er mußte irgendwo Klopapier finden, und zwar schnell .
Pan stieg aus dem Schlafsack, der über die Doppelmatratze in einer Ecke des hinteren Raums des großen Hauses gebreitet war. Er erhob sich langsam und vorsichtig, seine Knochen waren schwer wie Holzpfosten, und durchwühlte leise seinen Rucksack und die Pappschachtel, die sein gesamtes Hab und Gut darstellten. Er wollte Lydia nicht wecken. Nein, Lydia wollte er
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