Drop City
er das nicht wollte. »Du kennst nicht mal die Hälfte der Geschichte«, sagte er.
Und dann waren sie auf dem Yukon River, das sechseinhalb Meter lange Grumman-Frachtboot bis ans Dollbord beladen, die tiefe Zehn-Uhr-Sonne flackerte auf den wabernden Schatten des Treibguts, und er war wieder ruhig, in seinem Element, weg von der Straße, weg von der Kneipe und in der Umarmung der Landschaft. Er betrachtete Pamelas Schultern beim Durchziehen des Paddels, studierte ihren dichten Zopf, die wunderschönen Konturen ihrer Rückenmuskulatur und den beneidenswerten Platz auf der Bank, auf der sie saß. Die Vögel waren da, die Fichten reihten sich als Phalanx am Ufer entlang und kletterten die Hügel hinauf wie eine kaiserliche Armee, nackte Steilhänge, eine Million Klafter Treibholz als Verhau am Flußrand, die noch darauf warteten, was das Wasser mit ihnen vorhatte. Ein leichter Wind kam auf und vertrieb die Moskitos. Sie sahen Elche im flachen Wasser stehen, eine Schwarzbärin mit zwei Jungen, die am weiter entfernten Ufer die Böschung hinaufrasten wie aus der Kanone geschossen. Sie sprachen gedämpft. Meist schwiegen sie, und das Land sprach für sie. Und dann sagte sie etwas, und er antwortete etwas, und das war so natürlich für ihn, als redete er mit sich selbst.
Es war gegen Mitternacht, die Sonne schwebte dicht über dem Horizont, als sie in die Mündung des Thirtymile River einbogen und das Blockhaus in Sicht kam. Die fünf Hunde hatten sie schon bemerkt und winselten lautstark, selbst aus der Ferne sahen sie den Staub zu ihren Füßen aufsteigen, und aus dem urtümlichen Gebell wurde ein Wolfsgeheul der Begrüßung. »Hörst du das?« fragte Sess und legte sich noch stärker ins Zeug. »Das ist dein Empfangskomitee.«
Sie grinste ihn über die Schulter an. »Ach, wirklich? Und was sagen sie zu mir?«
»Pa-me-la, wir liiiiieben dich!«
Darauf lachte sie. »Bist du sicher, daß sie nicht sagen: ›Hier sind wir, und jetzt füüüüüüttere uns gefälligst!‹?«
»Na ja, Pamela«, sagte er und zwinkerte ihr zu, weil er sich leicht wie ein Vogel fühlte, der gleich aus dem Kanu abheben und mit einem wilden Schütteln seines Gefieders über die Wasserfläche dahinstieben könnte, »um ehrlich zu sein – und ich werde ehrlich zu dir sein, immer, ob das hier jetzt nur übers Wochenende dauert oder bis du eine bucklige alte Lady bist und ich ein alter Mann –, ich glaube, du liegst da nicht total falsch.« Er ließ das Paddel sinken und wölbte die Handfläche hinter dem Ohr. »Genau. Wenn ich mich jetzt konzentriere, könnte es sein, daß ich auch eine Spur von Hungergeheul heraushöre – aber das ist Bobo, der mit der jaulenden zweiten Altstimme da drüben, der hat immer Hunger. Also sei ihm nicht böse, daß er die Überraschung verdirbt.«
Dann tagte es schon wieder, das Kanu lag auf dem Kiesstreifen, die Hunde rissen an ihren Ketten, und er und Pamela spazierten Hand in Hand auf dem Pfad zum Blockhaus. Er hätte ihr gern etwas Großartigeres gezeigt – weitläufige Nebengebäude, wie die Räucherkammer, den wettergeschützten Hundeauslauf und die Sauna, die er alle errichten wollte, sobald er die Zeit und das Geld dafür hätte, ganz zu schweigen von einem geräumigeren Haus –, doch er war durchaus stolz auf das, was er schon geschaffen hatte, als er jetzt die bärensicheren Fensterläden abnahm und die Tür für sie entriegelte. Die Tür ging natürlich nach Süden, genau wie die beiden Doppelglasfenster rechts und links davon, aber bevor sie im Inneren waren, mußten sie durch den gut zwei Quadratmeter großen Trampelkorridor gehen – den Schmutzfang, wie ihn jemand aus der Stadt vielleicht genannt hätte. »Das hier«, sagte er und atmete im Zwielicht tief ein, was ihm die vertrauten Gerüche nach Öl, Benzin, alten Ködern, blutigen Fallen, Schimmel und allem anderen in die Nase brachte, was da im Dreck erwacht war, »ist der Schmutzfang.«
Sie stand dicht neben ihm, an die zwanzig, fünfundzwanzig Zentimeter kleiner als er, ihr helles Haar und die weißen Arme schimmerten im Halbdunkel, und sie sagte kein Wort, sah sich nur mit großen Augen um wie ein Schulmädchen auf einem Ausflug. Er geleitete sie durch die innere Tür in das Blockhaus selbst, griff um sie herum und hielt ein Streichholz an die Laterne, die gleich hinter der Tür an einem Haken hing. »Und das«, sagte er mit fast erstickter Stimme wegen der unsäglichen Spannung dieses Augenblicks, »das hier nenne ich mein
Weitere Kostenlose Bücher