Drop City
die für ihn offenbar eine zweite Haut bildeten, dabei wackelte er mit den Beinen wie ein Spastiker und beugte sich vor, um Pris an seinem rechten Arm wie mit einem Quirl im Kreis zu drehen. Und Pris, sehr hübsch in fliederfarbenem Satin und mit hochgestecktem Haar, hatte natürlich keine Ahnung, wer das war, welche Motive ihn bewegten und daß ausgerechnet er als einziger Einwohner von Boynton und Umgebung nicht eingeladen war. Absichtlich und ausdrücklich nicht eingeladen. Pris hatte jenen zügellosen Blick aufgesetzt, den Pamela nur allzugut kannte, ihren Zigarettenblick, den Wodkablick, den Blick, der besagte, daß die Party eben erst anfing und sie nicht mehr zu bremsen war. Joe Bosky nahm sie sich zur Brust, wirbelte sie von sich und zog sie erneut dicht an sich heran. Wieder juchzte sie laut auf, und man hörte ihr atemloses, gellendes Kreischen über dem Getöse der Band wie den Paarungsruf eines exotischen Vogels.
Pamela spürte, wie sich Sess anspannte. Ihre Mutter bemerkte: »Sieht so aus, als ob meine Jüngste auch nicht in der Ecke sitzen bleibt. Aber mir gefällt das nicht, wenn sie ihr Haar so hoch trägt. Gefällt dir denn das, Pamela?«
Pamela antwortete nicht. Sie hatte den Arm um ihren Mann gelegt – mein Mann , dachte sie, ich umarme meinen Mann –, und sie war der Pfeiler im Boden, sie war eine stabile Kette, denn am Tag ihrer Hochzeit würde es keine Schlägerei geben, nicht heute, o nein. »Sess«, warnte sie, »Sess!« Und dann trat sie mit vor ihn und legte auch den anderen Arm um ihn. »Ich möchte tanzen, Sess«, sagte sie. »Komm schon. Laß uns tanzen.«
Doch dann wurde sie von hinten geschubst, und ein Mann, den sie nicht kannte – Anglerhut mit einer Adlerfeder im Band, zerschlissenes blaues Oberhemd, Bart, Mundgeruch nach Hefe, Haare in den Ohren –, packte sie alle beide in einer titanischen Umarmung, drückte fest zu und schaukelte sie dabei. »Sess!« brüllte er ihr ins Ohr. »Pamela! Gratuliere euch beiden! Alles, alles Gute! Und so weiter und so fort!«
»Ogden«, sagte Sess, und sie spürte, wie er sich entzog, wie er sich loszureißen und sich wieder dem Blutopfer dieser Zeremonie zuwenden wollte. Pris kreischte erneut auf. Ogden packte noch fester zu, und dann kapierte Pamela.
»Wir kümmern uns darum«, sagte Ogden, und seine Stimme klang wie ein Boot, das über eine Sandbank schabte, »ich und Richard und Iron Steve. Entspannt euch. Ja? Nur ganz ruhig.« Er ließ sie los und war schon wieder weg, watete durch die Menge auf Kollisionskurs mit Pris und Joe Bosky. Pamela sah, wie von der einen Seite ein großer Mann mit massigem Kopf herankam, von der anderen Richard Schrader, der eine grimmige Miene aufgesetzt hatte. »Dieser Dreckskerl«, fauchte Sess, und sie umarmte ihn noch immer. »Dieser verdammte Dreckskerl!«
»Also, was ...?« begann ihre Mutter, deren Lächeln jetzt etwas unsicher war. »Du hast ja ziemlich überschäumende Freunde, Sess – ich dachte schon, der wollte euch zwei zerquetschen ...«
Joe Bosky merkte nichts, zumindest gab er sich den Anschein. Sie mußte einfach zusehen – konnte den Blick nicht abwenden –, während er herumwirbelte und Pris im Kreis drehte und tänzelte wie eine dieser Schmalzlocken aus einem Rock-’n’-Roll-Film, stilbewußt und gelenkig, mit Glupschaugen und wackelnden Hüften. Und dann Pris. Sie war total aufgedreht – das war mal der Typ Mann, auf den sie gewartet hatte, dessen Gelüstequotient so weit über dem Durchschnitt lag, daß man ihn nicht mal ansatzweise unter Kontrolle bekommen konnte. Bei jedem seiner Schritte mußte sie zwei machen, das Kleid war ihr längst unter die Achseln hinaufgerutscht, und ihr aufgetürmtes Haar hatte eine sanfte Rutschpartie nach unten angetreten. Alles nur Spaß. Gutgemeinter Spaß. Nur war dieser Mann Sess’ Feind und eigens gekommen, um ihm den Tag zu vermiesen, daran konnte kein Zweifel bestehen.
Der große Mann mit dem massigen Kopf – Iron Steve, wie sie annahm – packte Bosky unter den Armen, als er sich gerade unter Pris’ kreideweißen Fingern nach hinten bog, und dann fielen Richard und Ogden Stump über ihn her wie Tackler beim Footballspiel. Sie sah, wie die Überraschung sein Gesicht verzog, einen Herzschlag lang herrschte Ruhe, Pris hielt die leere Hand ausgestreckt, sie begriff allmählich, und dann schien er zu explodieren. Er schleuderte sich in alle vier Himmelsrichtungen zugleich, dabei stieß er ein langgezogenes spitzes Kreischen aus, in dem
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