Drop City
Walpole war von Anfang an der Auserwählte gewesen, weil Howard Walpole Geld und Glaubwürdigkeit und Sess Harder nichts davon hatte, und ausgerechnet jetzt, als Sess zitternd und durchnäßt im Gestrüpp herumlungerte wie ein verliebter Jugendlicher, mußte Howard sein neues Spielzeug ausprobieren, seine Sahneschnitte, seine Zuckerpuppe. Hieß das nicht so in den alten Bluestexten, Zuckerpuppe ?
Auf einmal war er fuchsteufelswild. Er mußte sich beherrschen, um nicht das Haus unter Feuer zu nehmen, die Fenster zu zerschießen und die Hunde zu Frikassee zu verarbeiten, wenn sie kläffend und verstört aus ihren Hütten kämen, und Howard Walpole in seinen speckigen langen Unterhosen und abgetragenen Pantoffeln niederzumähen. Wie hatte er sich nur auf diese Geschichte einlassen können? Eine Frau – eine gutaussehende Frau, eine richtige Wucht von Frau, mit kräftigen Händen und einem ebenso starken Kreuz –, die einen Mann per Kontaktanzeige sucht? Was war denn das für eine Welt? Und wie hatte er sich je irgend etwas anderes als Kummer und Kränkung von dieser verkorksten Geschichte erwarten können?
Er hatte sich aufgerichtet, zu seiner vollen Größe, scheiß auf das Herumgeschleiche – er würde einfach zu diesem Blockhaus rübermarschieren, an die Tür donnern, bis ihm jemand öffnete, und eine Antwort von ihr verlangen, sofort und auf der Stelle: Er oder ich? Willst du ihn oder mich? Doch als er aus dem Gebüsch hervortrat, sah er eine kaum wahrnehmbare Bewegung durch das vordere Zimmerfenster, und ehe er nachdenken oder etwas unternehmen konnte, rissen die Hunde an ihren Ketten, Schaum auf den gebleckten Zähnen, und stießen ein gepreßtes, verschrecktes Gekläffe und Geheul aus. War das ein Gesicht am Fenster? War sie es? Oder Howard? Er ließ sich in dem verflüssigten Schlamm wieder auf Hände und Knie nieder und trat einen irrwitzigen Krabbelrückzug an, während er schon die Eingangstür in ihren rostigen Scharnieren quietschen hörte und dann Howards kräftige Stimme: »Wer ist da?«, worauf Pamela antwortete: »Wahrscheinlich nur ein Elch, sonst nichts«, und dazu sagte Howard – worauf sich das bezog, konnte Sess nur raten –: »Siehst du? Hab ich’s dir nicht gesagt?«
Zwei Tage später, um Punkt zwölf Uhr mittags, schabte Howard Walpoles Flachkielboot über die Sandbank vor der Anlegestelle von Boynton und trieb auf der Krone des eigenen Kielwassers an Land. Sess stand in seinen Stiefeln im Schlamm, genau wie Howard vor ein paar Tagen. Er hatte nicht geschlafen. Er hatte nichts gegessen. Er war hoffnungslos und zerrupft und hohläugig wie ein Bettler auf den Straßen von Kalkutta. Als das Boot das Ufer berührte, sprang Pamela – sie trug Shorts und ein T-Shirt unter einer Baumwolljacke, dazu einen breitkrempigen weichen Filzhut, der ihre Augen verdeckte, so daß er ihrer Miene nichts entnehmen konnte – so leichtfüßig und graziös hinaus, als würde ein Windstoß sie tragen. Er senkte den Kopf. Holte tief Luft. »Und?« fragte er.
Sie schenkte ihm ein Lächeln, immerhin. »Tja, ich muß jetzt erst mal für ein paar Tage zurück nach Anchorage«, sagte sie. Hinter ihr war Howard zu sehen, der mit der Vorleine in der Hand herumwanderte, um sie an einem geeigneten Felsen oder Baumstumpf festzumachen.
Sess starrte Pamela an. »Wieso?«
Sie blieb unmittelbar vor ihm stehen, und sie verzog keine Miene und sah auch nicht beiseite. »Wieso? Na, um mir ein Brautkleid zu besorgen, was glaubst du denn? Und um meine Schwester zu holen, die die Brautjungfer spielen soll, und meine Mutter – die muß schließlich erst aus Arizona einfliegen. Ich wollte ja schon immer im Juni heiraten.«
Immer noch nichts. Immer noch kapierte er nicht. Er war ein Spielball der Winde, nicht viel tatkräftiger und geistreicher als ein im Fluß gefangener Lachs, den man aufgeschlitzt und zum Trocknen ausgelegt hatte.
Ein langer Augenblick verstrich, der längste seines Lebens, und dann fragte sie ihn: »Wie wär’s mit dem Einundzwanzigsten, Sess? Würde dir das passen?«
10
Pris brachte die Hochzeitstorte auf der Ladefläche ihres Kombis den ganzen Weg von Anchorage bis Boynton, und es war eine Torte, wie man sie in Boynton noch nie gesehen hatte, jedenfalls nicht mehr seit den Tagen des Goldrauschs, als es zu allen möglichen Exzessen gekommen war: fünf Etagen, mit abwechselnden Schichten aus rosa und weißem Zuckerguß glasiert, innen weißer Biskuitteig, und obendrauf stand die Plastikfigur einer
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