Drop City
nichts als Künstlichkeit und Haß schwang, und dann rollten sie alle vier im Schlamm herum, die guten Kleider wurden ruiniert, die Menge wich zurück, und die Band brach mitten im Refrain von Hank Williams’ »Cold, Cold Heart« ab.
Nach zwei Minuten war es vorbei, Joe Bosky hatte beide Arme auf dem Rücken, und Iron Steve preßte ihm einen Unterarm auf die Kehle, es folgte der achtbeinige Marsch an den Rand des Grundstücks, die unumgänglichen Drohungen und Beschimpfungen flogen hin und her, die Band nahm ihren Refrain wieder auf, nur Sess’ Augen waren kalt wie die eines Killers. »Du liebe Güte, Sess«, sagte ihre Mutter, »deine Freunde sind ja ganz schöne Hitzköpfe. Haben wohl zu tief ins Glas geschaut«, hier lachte sie, »oder vielleicht ist er auch nicht recht mit Pris fertig geworden. Aber so sind meine Töchter eben, mußt du wissen.«
Und da kam auch schon Pris, etwas verwirrt, Flecken im Gesicht, die Frisur total aufgelöst, der Saum ihres Kleides starr vor Schlamm. »Was war denn das jetzt?« wollte sie wissen und wühlte in der Handtasche nach einer Zigarette. »Gerade fing’s an, Spaß zu machen. Wer war dieser Typ überhaupt – ein entsprungener Irrer oder was? Eigentlich fand ich ihn aber ganz nett. Rein geistig, meine ich.«
Sess sagte kein Wort. Ihre Schwester sah ihn an, dann die Mutter, doch er stand nur wie angewurzelt da, reglos wie ein Zaunpfahl. »Ist doch schon gut«, redete Pamela auf ihn ein, »laß dir davon nicht den Tag verderben. Es ist alles in Ordnung, es ist ...«
Aber es war nicht in Ordnung. Sie tanzten, tranken Champagner miteinander, nahmen Glückwünsche entgegen und bedankten sich, und die Leute kamen einer nach dem anderen zu ihnen, voller Fröhlichkeit und gutem Willen, doch es war nicht mehr das gleiche wie vor Joe Boskys Auftritt. Es war ihr Hochzeitstag, ihre Hochzeits nacht , aber ihr Ehemann war so distanziert und undurchdringlich wie ein Außerirdischer aus dem Raumschiff in einem dieser entsetzlich schlechten Filme, die sie als Kind gesehen hatte. Wach auf, Sess , hätte sie am liebsten gesagt. Wach auf und mach Schluß mit diesem Blödsinn, deine Braut steht vor dir – kennst du mich noch?
Etwa gegen zehn verlor die Party langsam an Schwung, die Leute gingen paarweise davon, um entweder im Nougat oder im Three Pup weiterzufeiern oder besinnungslos in den Kies am Flußufer niederzukrachen. Tim Yule kauerte im Sonnenlicht auf einem umgedrehten Eimer und rührte mit einem knochigen Zeigefinger in einem Plastikbecher mit purem Äthylalkohol, leise mit sich selbst im Gespräch. Howard Walpole und Richie Oliver waren schon lange davongedackelt, die Schultern in wechselseitigem Beileid eingezogen. Pamelas Mutter lag auf dem Rücksitz von Pris’ Kombi – »ich brauch nur mal ein kurzes Nickerchen, sonst nix« –, und Pris hielt Audienz für drei besoffene Naturburschen, die sich die Haut hätten abziehen lassen, um sie nur zu berühren, während die Band auf eine einsame Geige reduziert war, die an den melancholischen Überresten einer klassischen Ausbildung herumschabte. Die Stunde war gekommen. Pamela drückte ihrem Mann die Hand und spürte das Blut in ihren Adern brausen. »Sess«, sagte sie, und es klang in den eigenen Ohren seltsam zur Melodie der Violine – die traurigste Weise, die sie je gehört hatte, von wem war das eigentlich, Borodin? Schostakowitsch? Irgend so etwas. »Sess«, sagte sie, »meinst du nicht, es wäre Zeit, daß Braut und Bräutigam allmählich ...«
»Ins Bett gehen?«
Sie saßen auf der hinteren Veranda des Hauses, das Richard Schrader ihnen für diese Nacht großzügig überlassen hatte. Moskitos umsurrten ihre Gesichter und prallten leise von Lippen und Augenlidern ab. Sie hatte sich umgezogen und trug jetzt Jeans und ein langärmliges Sweatshirt mit Kapuze, aber sie war sich ihrer Unterwäsche bewußt, die sie in Anchorage mit Pris ausgesucht hatte, ein spitzenbesetzter Satinslip und ein BH, der ihre Brüste umfing wie die gespreizten Finger eines Mannes. Er beugte sich dicht zu ihr und gab ihr einen Kuß, federleicht und süß, und endlich, endlich war er frei von seiner hölzernen Wut, und sie murmelte: »Ja, ins Bett.«
In diesem Moment nahm sie das Dröhnen eines Außenborders wahr, beide hörten sie das Motorboot, das im schrägen Licht der Zehn-Uhr-abends-Sonne den Fluß hinaufgedonnert kam, immer näher, und dann sahen sie das Glitzern des brodelnden Kielwassers und, bärtig und dunkelhaarig, das Gesicht von Joe
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