Drop City
Bosky am Ruder. Joe Bosky, zurück für einen letzten Schlag. Sess erhob sich auf der Veranda, gerade als der Bug des Bootes sich aus der Strömung hob und auf das Ufer zuraste. »Hey, Sess Harder, ich scheiß auf dich!« brüllte Bosky durch das Motorengeräusch und drückte noch mehr auf die Tube. »Ich scheiß auf dich, und auf dein Sackgesicht von Frau scheiß ich auch!« Dann drehte der Bug ab, das Boot schoß vorbei und war verschwunden.
Richard hatte ihnen zwei Kerzen mit Vanilleduft dagelassen, eine auf jeder Seite des Bettes – die dünnen, bleichen Dinger ragten phallisch aus den passenden Keramikschalen auf, die seine Exfrau getöpfert und gebrannt hatte. Das Blockhaus hatte vier Räume, von denen Richard im Winter zwei nicht nutzte, es hatte in der Küche einen Ausguß mit Handpumpe für fließendes Wasser, es hatte ein Bad und sogar ein Klo mit Spülung, die normalerweise funktionierte, zumindest in der warmen Jahreszeit. Wie in den meisten Hütten und Blockhäusern von Boynton hatte man ästhetische Erwägungen dem Diktat der Praxis geopfert, und in allen vier Räumen waren die Wände vom Boden bis zur Decke mit plattgedrückten Pappkartons bedeckt – Jungerbsen 2. Wahl, Rainier Pale Ale, Charmin-Toilettenpapier –, quasi als letzte Verteidigungslinie gegen den Wind, der im eisigen Winter aus seinen polaren Höhlen heranfegte. Das Schlafzimmer war als eine Art Podest angelegt, vier Stufen höher als der Wohnraum, ausgestattet mit einem Ashley-Holzofen, dem Spitzenmodell, auf dem Richards Ex bestanden hatte. In dieser Nacht aber brauchten sie keinen Ofen. Es war so warm wie im Innern einer palmgedeckten Hütte an einem Strand auf den Bahamas.
Sie setzte sich aufs Bett und öffnete ihr Haar. Sie hatte die Kerzen angezündet und den Plastikbecher mit dem lauwarmen Champagner weggestellt – er schmeckte hinten in der Kehle nur noch nach Saccharin, und sie brauchte keinen mehr. Im Haus war alles still. Die Sonne hielt sich. Sie hörte ihren eigenen Atem, das Pochen und Sausen des Bluts, das durch ihre Adern brauste. Nach kurzer Zeit stand sie auf und ließ die Jalousien vor den beiden Fensterschlitzen herab.
Sess war im vorderen Zimmer mit irgend etwas beschäftigt, seine Schulter waren so eckig und verspannt, daß man hätte meinen können, ihm wären alle Halswirbel verschmolzen. Etwas klapperte, fiel zu Boden. Er kämpfte um seine Beherrschung, das spürte sie, aber Joe Bosky hatte ihm den Tag, den Augenblick, die bevorstehende Nacht vergiftet, und sie wußte nicht, was sie sagen oder wie sie die Lage entschärfen konnte. In ihrer Reisetasche lag ein Taschenbuch, das ihre Mutter ihr mitgegeben hatte: Ratgeber für die Braut: 100 Fragen und Antworten für Ihre Hochzeitsnacht , aber nichts auf den dreihundert Seiten samt Anhangskapiteln ließ sich für diese Situation verwerten. Ihr Ehegatte hatte sauschlechte Laune. Er war gut acht Meter entfernt, kehrte ihr den Rücken zu und hätte ebensogut auf einem anderen Planeten sein können. Es gab ein dumpfes Rumsen, als ein weiterer Gegenstand zu Boden fiel.
Nun stand sie auf, so daß er sie sehen konnte, wenn er sich umwandte, zog sich das Sweatshirt über den Kopf und ließ die Jeans herunter. Sie war jetzt in Unterwäsche, in dem Seidenslip und dem BH für sechzehn Dollar neunundneunzig aus dem Kaufhaus in Anchorage, und sie wollte, daß er sie darin sah, wollte ihn anturnen und ihren Waschbrettbauch und die Rundungen ihrer Hüfte und ihre langen, schlanken Beine begutachten lassen. Die Stimme blieb ihr im Halse stecken. »Sess«, wollte sie sagen, »Sess, warum drehst du dich nicht mal um?«, aber sie brachte es nicht heraus. Ein endloser Moment versickerte, und sie mußte an ihre Schulzeit denken, an ein Date mit Gary Miranda im Fernsehzimmer im Haus ihrer Eltern, die beide ihrer Arbeit nachgingen, an die Platters und die Ink Spots, deren honigsüße Musik aus der Anlage gekleckert war, und an seine heiße Zunge und wie sich das Ganze angefühlt hatte. Seine Zunge war feucht und gierig und unermüdlich, und er sog ihre eigene Zunge in seinen Mund und saugte daran, als wäre sie ein Pfefferminzbonbon oder ein Lutscher, und sie bekam ein lasterhaftes, richtig wildes Gefühl davon, aber sie ließ ihn niemals ihre Brüste oder sonst etwas anfassen, weil sie das einfach nicht gut fand. Im College gab es Petting, überall wurde heftig geledert und gerieben, den Jungs schienen Extrahände zu wachsen, sie bedrängten sie wie kleine Aufziehsoldaten,
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