Drop City
zum Dollbord mit Hochzeitsgeschenken beladen, und sie frühstückten, was eben da war: Sess aß ein Sandwich mit Schinken, Käse und Karibuzunge, das ihre Schwester aus Anchorage mitgebracht hatte, Pamela genehmigte sich einen übriggebliebenen Teller mit grünen Bohnen, marinierten Artischocken, einen Haufen Eisberg- und eine Kelle Kartoffelsalat, um die Sache abzurunden. Sie hatte nicht geschlafen – oder doch, hier ein bißchen, da ein bißchen, aber auf eine Weise, die eher ein Wachtraum als ein Schlaf gewesen war, und sie konnte sich immer noch nicht bremsen, nach ihm zu greifen, mit der Hand seinen Arm zu ertasten oder über die geheimnisvolle Topographie der Schulter zu fahren, die sich an ihre drückte. Sie war eine Forscherin, genau das war sie, sie prägte sich die Landschaft ein, erschuf sie immer wieder von neuem.
Er hatte zweimal mit ihr geschlafen, unter der unermüdlichen kupferfarbenen Sonne, die sich weigerte, an ihrem Hochzeitstag unterzugehen. Der Sonne, die die eckigen Kanten der Jalousien umspielte und den Fußteil des Betts grell erstrahlen ließ, als wäre sie nur für sie da; und er war überhaupt nicht wie Fred Stines oder Eric Kresten oder die anderen gierig hechelnden Collegejungs, deren Vorstellung vom Sex etwas rein Mechanisches gehabt hatte, eine Art Leibesübung, wie Kniebeugen oder Liegestützen. Nein. Er war geduldig. Liebevoll. Dankbar. Er gab ihr mehr als nur das Gefühl, sie zu wollen – er gab ihr das Gefühl, der Mittelpunkt des Weltalls zu sein. Sie sah ihm beim Schlafen zu, als die Sonne hinter den Hügeln versank und die Jalousien grau wurden in der Dämmerung, die Nacht werden wollte, und dann weckte sie ihn auf, als die Sonne bald danach wieder aufging, und er liebte sie gleich noch einmal.
Jetzt aber war es sieben Uhr morgens, sie hatten aufgeräumt, das Bett frisch überzogen, die Essensreste in Richards Kühlschrank verstaut und gingen nun Hand in Hand zum Kanu. Die Sonne flutete durch die Bäume, der Fluß war ein Band aus purem Licht. Vögel zwitscherten. Ein Gänsepaar schoß vom Wasser auf, und Sess zeigte ihr das schwarze Knäuel im Wipfel einer Birke oben an der Böschung, das ein Baumstachelschwein war. Und dann paddelten sie, mit perfekt abgestimmtem Schlag, eine lässige rhythmische Absprache zwischen Mann und Frau, sie paddelten, als wären sie schon seit Anbeginn ein Team.
Alles sah neu für sie aus, jedes Blatt, jede Biegung, der Fluß, der sich gegen ihr Paddel stemmte und sich mit jedem Moment frisch erschuf. In ihrem Gehirn rasten Endorphine. Sie war leichter als Luft. Sie sprachen gedämpft, ihre Stimmen trugen über das Wasser, und sie unterhielten sich über praktische Dinge: sie sollten eine Lachsfalle anfertigen, einen Anbau für das Haus erwägen, ein Gewächshaus für die Tomaten errichten, möglichst bald Zinnien, Ringelblumen, Stiefmütterchen und Löwenmäulchen säen. Und über die Hunde. »Als allererstes bringe ich dir bei, den Hundeschlitten zu führen«, sagte Sess, »damit du die Fallenstrecke mit mir abgehen, meine Partnerin sein kannst. Das wolltest du doch, oder?«
Ihre Antwort war ein Lächeln, das sie ihm über die rechte Schulter zuwarf, während das Paddel durchs Wasser glitt. Sicher war sie seine Partnerin – sie hatte ihn schließlich ausgewählt, nicht wahr? Ging es nicht bei alledem genau darum? Sie würde die Hunde füttern und den Schlitten führen, sie würde Lederhäute spannen und gerben, seine zerschlissenen Kleider flicken, für ihn kochen und ihn in der Nacht wärmen, und er wiederum würde sie festhalten und für sie sorgen. Das war ihr Leben, wie es sich für die Zukunft entspann, und es war so fest und sicher wie irgend etwas auf der Erde nur sein konnte.
Nach einer Weile wechselten sie vom brodelnden Milchwasser des Yukon zum glasklaren Thirtymile hinüber, und die Blockhütte – ihr Zuhause – kam in Sicht, der allerletzte Außenposten der Zivilisation. Das Kanu schnitt durch die Strömung, und das Haus wirkte immer größer. Alles war still. Still und üppig. Sie genoß die Stille, doch plötzlich fing Sess wie wild an zu paddeln, zum erstenmal nicht mehr im Takt mit ihr, er rang geradezu mit dem Paddel, stieß das Kanu vorwärts, als hätte der Fluß Feuer gefangen. »Die Hunde!« sagte er.
Und dann dämmerte es ihr: die Hunde waren stumm geblieben. Zwei Tage angebunden und niemand zu Hause – sie hätten die Schnauzen himmelwärts heben und Ungeduld wie Freude lautstark äußern müssen. Aber sie
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