Drop City
Konzentration, dann merkte sie, daß sie langsam in Richtung des großen Hauses wanderte, wo ein Knäuel von Menschen auf der Veranda hockte, wo Musik sich aus unsichtbaren Tiefen erhob, Frohsinn und Schwesterlichkeit verbreitend, aber es fühlte sich nicht gut an, noch nicht, daher schlug sie sich lieber in den Wald. Hier war sie allein – auf ihrem eigenen Trip –, und die Erde umschlang ihre Füße wie eigens angefertigte Schuhe, hallo und tschüs, hallo und tschüs , und die Bäume wichen auf dem Pfad zum Fluß hinunter vor ihr zurück wie eine Menschenmenge.
Die Luft war dicht, die Sonne marterte das Wasser. Vögel stürzten wie Meteore aus dem Himmel herab. Sie saß am Ufer und lauschte dem Gemurmel der Strömung, tauchte die Finger ein und die Füße, und irgendwie fühlte sie sich immer noch nicht okay. Es war, als wäre sie außer Atem, genau, als hätte sie eine Überdosis Espresso intus oder eine weiße Speedpille zuviel genommen in einer dahinsausenden langen Nacht hinter dem Lenkrad, in der sich irgendwann aus dem öden Land die Rockies schälen und aufragen würden wie eine graue undurchdringliche Mauer, die ganze Armeen stoppen könnte. Hatte sie Angst? Doch, schon. Angst vor nichts und vor allem, vor Dingen, die nicht da waren, und Dingen, die knapp außerhalb ihres Sichtbereichs mutierten und die Form wechselten. Sie schloß die Augen, und auf der dunklen Bühne ihrer Lider sah sie Bilder einen dahinwirbelnden Tanz vollführen, den sie weder verlangsamen noch beenden konnte.
An dem Tag, als sie ihm seine Sachen demoliert hatten, war sie mit Marco zusammengewesen – auf dem Gelände hinter dem großen Haus, wo er die Rohre für das Rieselfeld verlegte. Sie war mit einem Krug voll Kool-Aid-Limo zu ihm gekommen, barfuß, in Shorts und der Bauernbluse mit aufgestickten blauen Quetzal-Vögeln, die sie mal in einem Secondhandshop in Mexiko aufgetrieben hatte – bei der Erinnerung an diese Bluse mußte sie sogar jetzt lächeln –, und hatte zugesehen, wie seine Rückenmuskeln spielten, wenn er sich bückte, um eine Schaufel mit Kies in den Graben zu werfen. Er sagte ihr, daß sie schön war. Sie sagte, er sei auch schön. »Da sind wir wohl eine Gesellschaft zur wechselseitigen Bewunderung«, sagte er und verteilte Kies. Es war noch eine zweite Schaufel da, die aus einem Haufen mit losen Steinen ragte wie ein Geschenk der Natur. »Soll ich dir helfen?« fragte sie und zog die Schaufel aus dem Kies, was ein Geräusch wie Zähneknirschen erzeugte, dann stellte sie sich in Positur für ihn: ein nackter Fuß ruhte auf dem Rand des Schaufelblatts, beide Arme packten den Stiel.
»Barfuß?« gab er zurück, richtete sich auf und wischte sich mit einem zusammengerollten gemusterten Halstuch, das als Stirnband diente, über das Gesicht. »Scheinst ja eine harte Frau zu sein.«
Und das war sie. Eine gute Stunde lang arbeitete sie an seiner Seite, grub und schaufelte, koordinierte ihre Bewegungen mit den seinen, der Kies im Graben schwoll an wie ein grauer Fluß, der sich durch das Hellbraun der verbrannten Wiese zog, und sie spürte es in den Oberschenkeln, in den Armen und im Rücken, auch in den Füßen – besonders in den Füßen, die nicht schlimmer hätten schmerzen können, wenn sie mit Ziegelsteinen bearbeitet worden wären –, aber sie hielt keinen Moment inne. Sie wünschte sich sein Lob, und mehr noch: sie wollte ihn übertreffen.
»Na gut«, sagte er schließlich, »na gut – du meine Güte, du bist ja das reinste Arbeitstier. Alfredo hatte recht bei dir.«
»Womit denn?«
Er blickte über die Wiese auf die Bäume. »Keine Ahnung. Hast du Lust, schwimmen zu gehen?«
Das Wasser war ein Lebewesen, in jedem Tröpfchen und jeder Welle voller Seele, und sie glitt mit einer eleganten Bewegung hinein, die mit ihren wie zum Gebet über den gebeugten Nacken erhobenen Händen begann und mit einem Schnipser von Fußknöcheln und Zehen endete. Das Klatschen von Marcos Sprung wurde von ihrem eigenen übertönt, es folgte der kalte, abrupte Schock, und dann lieferten sie sich ein Rennen zum anderen Ufer hinüber, sie kraulte, er schwamm Schmetterling. Gegen Ende legte er mächtig zu und schlug das Wasser zu Schaum mit weit ausgebreiteten Armen und dumpf hämmernden Explosionen seiner Fußstöße, doch sie war im Geist auf einmal wieder zu Hause am See, dreizehn Jahre alt und die stärkste Schwimmerin in ihrer Altersgruppe, zum Floß hinaus und wieder zurück, kein einziges Rennen hatte sie verloren, den
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