Drop City
vorsitzendes Genie der Ranch hatte er einen ziemlich hohen Frauenverbrauch – praktisch jede Braut auf Drop City war irgendwann mal mit ihm ins Bett gehüpft. Lydia war eine ganze Woche herumgerannt und hatte von seinem Lingam geschwärmt und wie perfekt er für sie paßte, Verbie nannte ihn hinter seinem Rücken »Pascha Norm«, und Star ... nun ja, für Star konnte Marco nicht sprechen, aber nach allem, was er über sie wußte und was er für sie empfand, bezweifelte er, daß sie und Norm je miteinander gepennt hatten, aber möglich war alles. Und natürlich ging das auch in Ordnung, so oder so, schließlich waren alle erwachsen, und der Körper war ja dazu da, gefeiert zu werden, oder? Falls auf der Ranch irgend jemand eifersüchtig war, falls einige der üblichen kleinbürgerlichen Komplexe unter der Oberfläche des endlosen irenischen Traums schwärten, den Drop City darstellte, so hatte Marco davon noch nichts gemerkt. Allerdings besaß er keine gute Antenne für so etwas, wie er selbst als erster eingestehen würde. »Ja, ich denke mir, wir sind echt auf derselben Wellenlänge«, sagte er, und seltsamerweise schien ihm die Stimme in der Kehle steckenzubleiben. »Star und ich.«
Norm beugte sich dicht zu ihm hinüber. »Du meinst, auf spiritueller Ebene? Also agape statt eros ?«
»Wie meinst du das?«
»Ob du sie bumst.«
»Was ist denn das für eine Frage?«
»Eine ganz praktische.« Norms Atem roch abgestanden, oder schlimmer als das – er stank. Die Zähne verfaulten ihm im Kopf, und der Kopf verfaulte ihm auf dem Körper. Er glaubte nicht an Zahnärzte – nur an Schamanen –, denn die Zähne fielen einem nicht wegen Karies aus, sondern wegen der bösen Geister seiner früheren Zahnärzte, und er hatte genug Gold im Mund, um das zu beweisen.
»Was denn?« fragte Marco und fühlte, wie er rot wurde, »bist du etwa interessiert?«
Norm rutschte auf dem Sitz herum und zuckte die Achseln. »Sie ist eine ausgeflippte Braut.«
Sicher war sie das. Jeder war ausgeflippt, alles war ausgeflippt. So war die Welt, die sie gestalteten, es war das neue Zeitalter, frei und erleuchtet und ohne Komplexe, jeder Berg wurde erklommen und jede Ziege gemolken. »Ja«, hörte Marco sich sagen, »ja, das ist sie.«
Es entstand ein kurzes Schweigen, der Motor des Busses verabschiedete sich irgendwo unter und hinter ihnen. Norm traf keine Anstalten zum Aussteigen. Er schob sich die Brille hoch, aber sie rutschte prompt wieder hinunter. Er seufzte. Hob wie beschwichtigend die Hand und ließ sie wieder sinken. »Hör mal, da gibt’s etwas, was ich dir nie erzählt hab«, sagte er. »Oder überhaupt irgendwem, außer Alfredo. Und es ist nicht erfreulich, ganz und gar nicht.« Er klopfte noch einmal gegen die Uhr und warf einen wehmütigen Blick darauf, als wäre sie der Quell von allem Kummer und Leid dieser Welt. »Ich rede von der Ranch.«
»Was genau meinst du?«
»Die Typen hier in der Stadt mögen keine Freaks, das meine ich – übrigens in diesem ganzen beschissenen Faschisten-County nicht, hier soll man immer nur Geld ablegen und Gesetz und Ordnung achten, sonst ist man am Arsch , das kannst du mir glauben. Sie wollen hier keine Menschen haben, die im Einklang mit der Erde und miteinander leben, die wollen nur brave Kleinfamilien mit Mama und Papa, alle in ein Häuschen mit Garten gezwängt, samt brandneu asphaltierter Auffahrt und einem Rasen, der aussieht wie auf die Erde lackiert. Schön die Grundsteuern zahlen und alles hübsch sauberhalten, alles klar?«
»Du hast Probleme mit den Behörden?«
»Darauf kannst du einen lassen.«
»Lebensmittelkontrolle? Brandschutz?«
Norm saß über seine Taschenuhr gebeugt, sein Kopf wackelte sachte auf den Schultern, als würde er in der aufliegenden Masse seiner Haare schwimmen, und nickte nur. »Alles total scheiße«, sagte er endlich, doch aus seiner Stimme war jedes Feuer geschwunden. »Auf diesen Mist bin ich echt nicht scharf, das kann ich dir flüstern.«
Sie saßen nebeneinander und starrten bedrückt durch die insektenverdreckte Windschutzscheibe auf die Früchte des Lebens im Land des Überflusses, Wonderbread, Skippy-Erdnußbutter, Oleo-Margarine , und während Marco schwer Atem holte und geistesabwesend mit dem Finger auf dem Deckel des Handschuhfachs herumfuhr, stieß Norm einen Seufzer aus und erzählte ihm die Einzelheiten. Die Lage war noch schlimmer als vermutet. Viel schlimmer. Die Beamten der Gesundheits- und Sanitärbehörde versuchten bereits
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