Drop City
davongemacht, ebenso wie Dewey und die meisten anderen, aber Lester und Franklin waren dageblieben, obwohl alle sie behandelten wie Aussätzige. Sie waren seit Wochen nicht mehr zum Essen aufgetaucht, und man sah sie kaum jemals. Aber sie waren da, und jeder war sich dessen bewußt, auch wenn manche so taten, als wär’s nicht so. Trat man auf den Parkplatz hinaus, stand der Lincoln dort, mit Staub bedeckt, so daß er ebensogut spontan aus der Erde hätte gesprossen sein können. Spazierte man abends herum, klang die Musik vom hinteren Haus herüber, tief und dumpf und geheimnisvoll. Und hie und da blickte man von dem auf, was man gerade tat, und da saßen sie mit nacktem Oberkörper auf ihrer morschen Veranda und ließen einen Joint oder eine Zigarette oder eine Flasche Rotwein lässig hin und her wandern.
Merry sprach als erste. »Glaub ich nicht«, sagte sie.
Lester wandte sich zu Franklin um, als wollte er für ihn dolmetschen. »Hast du das gehört, Franklin? Die Kleine glaubt das nicht. Was sagst du dazu?«
Franklin war einen Kopf größer als Lester. Er trug ein schwarzes Hemd mit großen gelben Punkten und breitem Kragen. Unter den Augen hatte er gewaltige Tränensäcke, als hätte er hundert Nächte am Stück durchgemacht, und seine geglätteten Haare ließ er zu rötlichen Fransen auswachsen. Er sah Lester beim Sprechen an. »Ich sag gar nichts.«
»Also, ich sage, das ist ein Haufen rassistischer Hippie-Püppi-Scheiße«, sagte Lester und wandte sich wieder an die zwei Frauen. »Was soll das hier, sind wir Nigger nicht gut genug für euch?«
»Scheiß auf dich, Lester«, sagte Merry laut, und jetzt wurde man an der Tür aufmerksam, Gesichter fuhren hoch, wie an einer Leine herumgerissen. Und wo war Marco? In Santa Rosa, Vorräte einkaufen mit Norm.
Lester fand das lustig. »Scheiß? Klingt ja richtig nach Friede, Freude, Eierkuchen.«
Erzürnt , das Wort gab es doch, oder? Star war erzürnt – erst Ronnie, und jetzt das. »Hör zu«, sagte sie und warf sich in die Bresche, »du weißt ganz genau, daß das hier nichts damit zu tun hat, ob du schwarz oder weiß bist, oder ...«
»Rot oder gelb?«
Irgendwie hatte sie den Pfannenheber in der Hand. Oder nein, es war der Schöpflöffel, ein ausgetrocknetes, zu oft heiß gewordenes Holzgerät, und sie schwenkte es wie ein Schaffner seine Kelle. »Norm hat gesagt ...«
Er gab ihr den Satz zurück, aber leise, sehr leise, beinahe geflüstert: »So, Norm hat gesagt. Hör sie dir an. Norm hat einen Dreck gesagt. Norm hat gesagt, daß hier jedermann willkommen ist, und wenn ihr so auf Nigger steht, dann verratet mir doch mal, wie viele unserer Brüder ihr dahinten im Wald noch versteckt habt, nur für den Fall, daß wir eines Tages mal genug haben und uns hier verdrücken. Na? Wie viele? Zehn? Fünfzehn?«
Sie fühlte ihr Herz in den Schnellgang umspringen. Sie ließ den Schöpflöffel auf den Tisch fallen und trat einen Schritt zurück. »Ich werde mich nicht mit dir streiten, ich hab überhaupt keine Lust, auf deinen Trip raufzukommen, und du kannst machen, was du willst, das ist mir egal, wirklich piepegal.«
»Und was ist mit Marco – ist dem das auch egal?«
Und jetzt sagte sie es auch: »Scheiß auf dich, Lester. Nichts weiter: scheiß auf dich.«
Aber Lester goß Saft ein, Lester schaufelte Rührei und Kekse auf einen Teller. Er nahm genug für drei, türmte das Essen auf, bis der Teller überlief, und reichte ihn an Franklin weiter, dann bediente er sich selbst, und keiner sagte ein Wort. Eine Schaufel Rührei, zwei, drei. Er ließ sich Zeit und zog dabei ein dünnes Lächeln, das in ihr nichts weiter als Kummer und Scham auslöste. War es echt so weit gekommen? Kämpften sie jetzt um das Essen ? Oder war das etwas anderes, etwas Häßliches, Dreckiges, das Drop City zum größten Witz der Welt machte?
Wenn niemand wußte, was ein schlechter Trip war – das hier war ein richtig schlechter. Sie hatte sich einfach umgedreht und war aus der Küche gestürmt, durch den Versammlungsraum und zur Vordertür hinaus, kein Rührei für sie und auch kein Abwaschen mit ihren Schwestern, kein Tanzen, keine Fröhlichkeit, keine Blumen im Haar, keine Gemeinschaftsrituale im Clan, bei dem das Acid sie läuterte. Sie überquerte den hellgrauen Schotterweg zum Baumhaus, kletterte die Leiter hoch und zog sie zu sich herauf, dann streckte sie sich auf Marcos Schlafsack aus und starrte ins Laub, bis sie jedes einzelne Blatt auswendig kannte und ihr Herz
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