Drop City
volles Glas«, sagte die Schwester. »So stark ist es doch nicht, oder?«
»Zweihundert Mikrogramm«, antwortete Verbie. »Höchstens dreihundert.«
Und wer kam als nächster? Ronnie, der irgendwie grüblerisch und schlechtgelaunt aussah. Er hielt den Kopf gesenkt, und sein Blick huschte hinter den überdimensionalen Scheiben seiner Sonnenbrille hin und her wie Fische , aber nicht im Kescher, sondern wie ganz kleine Fischlein, wie Guppys in einem schlierigen Aquarium. Er griff nach einem Glas und streckte es ihr hin. »Rührei?« fragte sie und meinte es als Friedensangebot. Sie hatte das Rührei zubereitet, und sie nahm gern den Pfannenheber und teilte es aus, eine hart arbeitende, selbstlose und pflichtbewußte kleine Braut , und was konnte sich einer denn noch mehr wünschen?
»Das laß ich aus.«
»Toast? Kekse?« Sie probierte ein Lächeln. »Frisch gebacken. Von Maya.«
»Nur den Saft.« Er sah ihr beim Eingießen zu. »Wo bist du überhaupt die letzten paar Tage gewesen?« wollte er wissen. »Hab dich überall gesucht.«
Sie zuckte die Achseln, um anzudeuten, wie cool alles war, kein großes Ding, aber Achselzucken und Eingießen zugleich war nicht so leicht. Etwas Saft lief außen am Glas hinunter und bildete eine Pfütze auf dem Tisch. »Wir waren wandern, drüben am Mount Tam«, sagte sie, »da in den Redwoods, weißt du? Es war toll. Echt toll.«
»Du und Marco, stimmt’s?«
Sie nickte.
»Auch an dem Abend, als ich mit dem Reh gekommen bin – da hab ich die ganze Zeit nach dir gesucht.« Er nahm ihr das Glas aus der Hand und hielt es weit von sich, der Saft schäumte auf wie ein Hexengebräu, grellorange und tropfend. »Also nur du und Marco?«
»Genau, aber ich bin mir sicher, du hattest Lydia zum Trösten, und was ist mit Merry und diesem neuen Mädchen, an das du dich neulich so rangeschmissen hast, wie heißt die noch? Premstar – die immer so angetörnt ist, daß sie kaum reden kann? Bestimmt haben die dir doch über das Schlimmste hinweggeholfen?«
»Nur du und Marco, ja?« wiederholte er.
Sie starrte ihn wortlos an.
»Na schön.« Er trank den Saft in einem einzigen Zug aus, schnappte sich den Krug von der Arbeitsplatte und füllte sein Glas noch einmal randvoll. »Brauchst mich gar nicht mehr anzuquatschen«, sagte er, und zwar über die Schulter, weil er schon zur Tür hinaus war und im gleißenden Licht stand, das rings um ihn herum explodierte wie kollidierende Sterne.
Lydia saß auf der Arbeitsplatte an der Spüle und starrte in den leeren Raum, als wäre sie weit entfernt von allem – auf ihrem ganz eigenen Trip, und verwechsle ja nicht deinen Trip mit meinem –, aber Merry kam um den Tisch herum und stellte sich vor Star auf, bis die sie ansah. »Was sollte denn das eben?«
Star spürte es bis in die Zehen, den zweiten kribbelnden euphorischen Ansturm der Droge. Sie wollte keinen Streß, sie wollte weder Besitzansprüche, Eifersucht, Ärger, schlechten Sex noch schlechte Laune – sie wollte einfach loslassen und zusehen, wie sich der Tag entwickelte, eine geballte schimmernde Minute nach der anderen. Sie sah Merry an, und es kam ihr vor, als wäre Merry unter Wasser, ihr Haar schwebte in sanften Wellen dahin, auch ihr Gesicht und ihre Augen, Seetang floß mit der Strömung, sogar Seepferdchen waren dabei. »Weiß nicht recht«, hörte sie sich sagen. »Pan hat wohl einen miesen Tag erwischt.«
In diesem Moment schob sich Lesters Gesicht in ihr Blickfeld, breites Grinsen, in den Zähnen glitzerndes Gold, seine Haut so speckig und verbraucht wie das Leder auf dem gefederten Punchingball, den Sam zu Hause in der Garage hängen hatte. Seine Augen waren riesengroß, so als wäre er sein ganzes Leben lang im Dunkeln umhergetappt – die reinsten Lemurenaugen waren das! –, und er hatte sich die Haare aufgebürstet, so daß sie ihm vom Kopf abstanden wie bei Jimi Hendrix. Bei ihm war Franklin, und sie zogen beide die Köpfe ein, als stapften sie durch einen Sturzregen. »Hey, Star, hey, Merry, was liegt an?« meinte Lester. »Wollte nur mal fragen, äh, ob ihr vielleicht etwas von dem Saft da übrig habt für zwei alte Eremiten. Und vielleicht auch ein bißchen Rührei – Rührei wär doch nett, oder, Franklin?«
»Und wie«, sagte Franklin.
Star brachte keine Reaktion zustande – sosehr sie es auch versuchte, sie konnte einfach nicht antworten, einstweilen ging es nicht, weder Ja noch Nein, noch Eher treffen wir uns in der Hölle, gar nichts. Null. Sky Dog hatte sich
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