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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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rieben sich die Schläfen und ließen einen Krug mit Eistee oder Kool-Aid-Limo herumgehen, sie sah es nicht genau, man zupfte gedankenverloren an seinen Ohren oder Zehen herum und breitete die Arme aus, wie um schwimmen zu lernen – oder vielleicht Levitation. Alfredo und Reba saßen ganz vorn, Reba hielt eine Zigarette in der Hand und bedachte ihren Alten mit einem Vortrag über dieses oder jenes, dabei malte sie mit der Glutspitze Muster in die Luft. Ronnie saß weiter hinten im Raum, zusammen mit Merry und Lydia versank er in einem Berg von Kissen, und Jiminy lümmelte sich am Tisch bei Verbie, Angela, Harmony und Alice.
    Star fragte sich, wie sie aussah – sie war seit Tagen nicht mal in der Nähe eines Spiegels gewesen –, und als sie den Raum betrat, versuchte sie, ihr Haar mit den Fingern zu teilen, wie eine Kappe seitlich am Kopf zu glätten und einige widerspenstige Strähnen hinter die Ohren zu stecken. Sie trug ein Paar getöpferte Ohrringe – blaue Delphine mit aufgemalten Grinsemäulern –, die sich mit jeder Minute schwerer anfühlten, bis sie ihr wie Ziegel an den Ohrläppchen hingen, doch sie brachte einfach nicht die Energie auf, sie abzunehmen. Sie hatte ihre Sandalen nicht gefunden, aber auf der Ranch liefen die meisten fast immer barfuß herum, also machte es nichts aus, aber ihr T-Shirt und die Shorts kamen ihr klamm vor, und wann hatte sie die eigentlich zum letztenmal gewaschen? Oder überhaupt irgendwas gewaschen? Auf einmal hatte sie wieder Angst – um sich selbst, um Marco und um Drop City, um all die futschgegangenen Neuronen und fehlgeschalteten Synapsen eines ganzen Kontinents von Kiffern, Acid-Heads, Freaks und Bräuten. Womm, pochte das Blut in ihren Schläfen. Womm- womm-womm.
    Sie wechselte gemurmelte Begrüßungen mit ein paar Leuten, erwog kurz, quer durchs Zimmer zu Merry zu gehen, fühlte sich aber plötzlich so schwach, als hätten sich soeben ihre Knochen aufgelöst. »Setzen wir uns einfach hierhin«, sagte sie zu Marco, und sie sanken knapp hinter der Tür zu Boden, denn im Ernst, was machte es schon aus? Norm berief solche Notfallversammlungen nicht aus Spaß ein – hier würde es schlechte Nachrichten geben, und da war es reichlich schnurz, ob man sie stehend oder sitzend erfuhr, am Rande oder im glühendheißen Zentrum.
    Sie sah Alfredo auf die Beine kommen, sich umdrehen und die Anwesenden mustern. In seinen Augen blitzte ein matter Glanz, als wären sie frisch lackiert und noch nicht richtig getrocknet. Das Lampenlicht entstellte seine Züge, höhlte seine Wangenknochen aus und verlieh ihm das Aussehen des gekreuzigten Christus auf dem großen Fresko über dem Altar der Kirche bei ihr zu Hause. Er zog auch sonst meist ein langes Gesicht, jetzt aber wirkte er absolut tragisch. »Hört mal, Leute, wir haben einProblem«, sagte er, und seine Stimme klang nach Grabgesang. »Es betrifft uns alle, besonders Norm, aber letztlich doch uns alle, deshalb hat mich Norm gebeten, euch zusammenzurufen. Er will ein paar Worte sagen ...«
    Sie konnte ihn kaum hören, weil es in ihrem Kopf so pochte. Es war, als hinge von der Decke eine Zange herab, die sie an den Schläfen packte und langsam, aber unerbittlich in die Höhe zog, und sie mußte ständig an eine dieser Greifmaschinen auf dem Rummel denken, mit denen man Preise aus einem Haufen Plunder fischt. Der Preis war sie, der goldene Ring, der in Wirklichkeit aus Messing war, und die Zangenbacken hielten sie gepackt, sie drückten und zwickten, und was sie jetzt brauchte, war ein Darvon, besser noch ein Seconal, irgend etwas zum Abtöten des Schmerzes. Sie würde Ronnie darum bitten, sobald die Versammlung zu Ende war – der hatte normalerweise was dabei, schön versteckt an einem geheimen Platz. Sie starrte ihre verschränkten Hände an und konzentrierte sich darauf, normal auszusehen. Oder menschlich. Wenigstens das.
    Alfredo sabbelte weiter – »Brüder, Schwestern, Leute , wir stecken in dem hier zusammen drin, und jetzt, gerade jetzt, müssen wir auch zusammen bleiben  ...« Sie lehnte sich gegen Marco, und in ihr wallte Ärger hoch. »Wovon redet er überhaupt? Von dem Unfall? Geht es darum? Kann Norm nicht einfach Strafe zahlen oder so?«
    Marco schob sich eine Locke hinters Ohr und strich mit einer unberingten Hand seinen Bart glatt (er hielt nichts von Schmuck, jedenfalls nicht für Männer, obwohl er die Kette aus bemalten Holzperlen trug, die sie ihm geschenkt hatte, und einen Augenblick lang brachte diese

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