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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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meine, eine Zeitlang hat er überhaupt nicht mehr geatmet.« Rebas Blicke waren wie Enterhaken, sie packten zu, rissen und zerrten und zogen. »Aber das mit Charley Horse«, fuhr sie fort, »ich hab’s von Marco gehört, echt Scheiße ist das.«
    Lydia sagte: »Ja, echt Scheiße« und nickte dazu.
    Norm sah auf seine Füße. »Wißt ihr, was man mit ’nem toten Pferd macht?«
    »Absteigen?« schlug Ronnie vor.
    »Nein, auslassen. Das Fett wird für Hundefutter und Leim und so Zeug verwendet. Ich hab das Vieh ohnehin nie gemocht. Es war einfach so ein großes, blödes vierbeiniges Scheißding, das meine Exfrau unbedingt haben mußte. Du hast doch ’ne Ranch, oder? Na, da brauchst du auch ’n Pferd. Brillante Logik, was?«
    Reba stand vor ihm, grimmig und kampflustig, mit Plattfüßen und sich auflösenden Zöpfen, rasend schnell unterwegs zur alten Frau. Ronnie sah die beiden senkrechten Furchen, die sich tief in die Haut zwischen ihren Augenbrauen gruben, die geschweiften Klammerkaskaden an ihren Mundwinkeln: zu früh geheiratet, zu schnell angebumst, das war ihre Geschichte. Und was wollte sie jetzt? Antworten. Sie verlangte Antworten. »Also, was werden wir unternehmen, Norm? Du weißt genau, die kommen wieder, diesmal mit Durchsuchungsbefehl. Du weißt, daß die uns hier die Bude zusperren wollen. Und was dann? Wo sollen wir hin? Ich meine, Alfredo und ich, wir haben gut an die zwei Jahre unseres Daseins für diese Ranch geopfert – ich meine, das ist doch irre. Hier wollten wir den Rest unseres Lebens verbringen – und Che und Sunshine genauso.« Sie sah beiseite, als hielte sie seinen Anblick nicht aus, seine eingefallenen Schultern, das blutige Gesicht und die mit Klebeband reparierte Brille, dann hob sie den Kopf und legte gleich wieder richtig los: »Also, was soll geschehen, Norm? Wie sollen wir jetzt weitermachen?«
    Pan schob den nächsten Hot dog auf seinen Weidenzweig und hielt ihn in die Flammen. Die Bude zusperren? Für ihn wurde es ja gerade erst gemütlich. Klar, ein paar von den Brüdern und Schwestern hier gingen ihm fürchterlich auf den Sack, aber alle kannten ihn, und zum erstenmal im Leben hatte er einen Lebenszweck, ob die übrigen das nun zugeben wollten oder nicht – er war der Ernährer in dem Laden hier, oder einer von ihnen. Einer der wichtigsten. Er hatte das Reh angeschleppt, oder? Und Wachteln – er hatte auch Wachteln geschossen. Und Fische – er angelte ja die ganze Zeit, worüber nicht mal die Vegetarier meckern konnten. Das Essen war umsonst, und das war doch der Sinn dieses ganzen Zurück-zur-Natur, oder nicht?
    Rebas Worte hingen in der Luft, anklagend, fordernd, tragisch und voller Selbstmitleid: Wie sollen wir jetzt weitermachen?
    Norm starrte nicht mehr auf seine Füße. Er zog die Schultern nach hinten, als wäre er soeben erwacht, steckte die Rest des zweiten Hot dogs in den Mund und strich sich mit den Handflächen die Haare nach hinten. Er war siebenunddreißig. Sein Bart zeigte ein wenig Grau. Seine Zehen waren so verwachsen, daß sie aussahen wie künstlich aufgepfropft. »Wie wir jetzt weitermachen?« echote er. »Wir werden eine Versammlung abhalten, so machen wir weiter.«

14
    Diese Versammlung war überhaupt nicht wie die erste. Der Tag hatte richtiggehend die Puste verloren, es war ein schleichendes Entweichen der Energien gewesen, so ermüdend, daß man nicht einmal darüber nachdenken mochte, und als Norm die Versammlung einberief, hatte sich die halbe Einwohnerschaft von Drop City längst hingeknallt und pennte. Die Leute lagen auf Sofas, stockfleckigen Matratzen, Schlafsäcken, Bündeln von Kiefernzweigen und Autorücksitzen und erholten sich von der Nachwirkung des gleichzeitigen Öffnens sämtlicher Pforten der Wahrnehmung. Auch Star schlief, das Gesicht auf der sanft atmenden Wölbung von Marcos Brustkorb, als Verbie ins Baumhaus hinaufgeklettert kam und ihnen sagte, sie müßten aufstehen, es sei ein Notfall eingetreten, und alle – alle ohne Ausnahme – sollten innerhalb von fünfzehn Minuten im Versammlungsraum sein.
    Star wußte nicht, was sie denken sollte. Sie war im Baumhaus, mit Marco, und sie hatte geschlafen – soviel war klar. Alles übrige war ein Chaos. Es kam ihr vor wie mitten in der Nacht, aber draußen war es hell, und sie hätte unmöglich sagen können, ob es die Morgen- oder die Abenddämmerung war. Das Licht flutete grau und dicht wie Wasser, und die Zweige der Eiche trieben darin wie das feine Gerüst eines Traums. Der Baum

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