Drowning - Tödliches Element (German Edition)
Ich liebe es auch.«
Er lächelt und ich wünschte, ich könnte zurücklächeln, aber es zerreißt mich wegen des anderen Mals, als ich hier war, damals, als Rob und ich noch mal herkamen.
»Und jetzt komm ins Licht, komm mit in die Küche«, sagt er. »Damit ich mir den Kratzer richtig ansehen kann.«
Nicht in die Küche. Nicht dorthin, wo …
»Komm schon«, sagt er. »Steh nicht rum.«
Er schlurft durch den Flur. Ich könnte mich schnell aus dem Staub machen, aber ich tu’s nicht. Er hat mir den Rücken zugewandt, kramt im Schrank rum. Ich stehe vor der Tür und scanne den Boden. Was habe ich erwartet? Zwei Umrisszeichnungen, die zeigen, wo die Leichen lagen, eine Frau und ein Hund? Die verrottenden Überreste, immer noch als Hügel sichtbar? Aber da ist nichts. Keine Flecken, keine Dellen, keine Schleifspuren, keine Spritzer. Es ist Linoleum, das nur so tut, als ob der Boden schwarz-weiß gefliest wäre.
»Komm rein«, sagt er. »Ich beiß nicht.«
Seine Stimme wird übertönt von der Stimme seiner Frau in meinem Kopf. »Du Mistkerl. Du diebischer, feiger Mistkerl.«
»Ich sollte gehen«, sage ich.
»Ja, okay. Wenn ich dich wieder ein bisschen in Ordnung gebracht habe. Komm her.« Er winkt mich zu sich. »Geh da unters Licht.«
Ich trete vor, bis ich genau dort stehe, wo der Hund gelegen hat. Ich habe das Gefühl, dass sich der Boden unter meinen Füßen bewegt, als ob darunter eine Pfote, ein Ohr oder irgendwas anderes eingesperrt wäre. Ich drücke mich ein bisschen zur Seite.
»Hierher, hör auf, dich hin und her zu bewegen. Bleib doch mal ruhig stehen.«
Er ist jetzt ganz nahe und der Geruch seines minzigen Atems vermischt sich mit dem scharfen Geruch des Desinfektionsmittels, das den Wattebausch in seiner Hand durchtränkt. Er führt ihn an mein Gesicht. Als Harry ganz dicht vor mir steht, sehe ich die ganze Verbrauchtheit in seinem Gesicht, das Weiße in den Augen, das nicht mehr weiß, sondern gelb ist. Ich schließe meine Augen und zucke, als das Antiseptikum die offene Wunde berührt.
»Schon gut«, sagt er. »Bin gleich fertig. So, jetzt kannst du die Augen wieder aufmachen. Alles erledigt. Magst du eine Tasse Tee?«
Ich sollte gehen. Ich sollte nicht hier sein. Ich nicke.
»Setz dich schon mal ins Wohnzimmer, mein Junge.«
Ich gehe durch. Das Wohnzimmer wirkt winzig, sauber, ordentlich … und vertraut. Gemusterter Teppich. Raufaser an den Wänden. Bücherregale auf beiden Seiten des Kamins. Und Fotos. Ich gehe zu dem Kaminsims und schaue die Reihe der Fotos an. Einige zeigen einzelne Menschen, andere sind Gruppenbilder. Ich nehme eines mit nur zwei Leuten drauf in die Hand, der alte Mann und eine Frau – seine Frau. Unten am Rand steht eine Zeile – Harry & Iris, 22. Juli 2012.
Sie schauen direkt in die Kamera, nebeneinander. Die Köpfe zum andern geneigt. Harrys Hand zeigt nur, wo er den Arm um ihre Schulter liegen hat, sie eng an sich drückt. Sie haben sich beide fein gemacht – er in Tweed-Jacke, weißem Hemd und Schlips, sie in glänzender Bluse mit einer Schleife lose um den Hals. In den leuchtenden Stoff schmiegt sich eine Halskette, ein silbernes Amulett hängt daran.
Ich gehe mit Neisha durch den Park. Sie nestelt nervös an dem Silberamulett, das an der Kette um ihren Hals hängt.
»Das war bei der goldenen Hochzeit.« Harrys Stimme lässt mich auffahren. Ich reiße den Kopf herum, um über die Schulter zu schauen. Ich warte darauf, wieder zurechtgewiesen zu werden, weil ich etwas angefasst habe, doch diesmal scheint es ihn nicht zu stören. Er steht mit dem Teetablett in der Tür.
»Fünfzig Jahre«, sagt er. »Fünfzig Jahre … ich hatte gedacht, wir schaffen es bis zur diamantenen, aber … das ist das letzte Foto, das wir zusammen haben machen lassen.«
»Was ist passiert?«
»Weißt du das auch nicht mehr, Junge?«
»Tut mir leid, ich war im Krankenhaus. Sie haben gesagt, ich hätte im See eine Gehirnerschütterung bekommen.«
»O je, wie schrecklich. Aber das wird wieder, Junge.«
»Ja, wird schon langsam besser. Ich hab nur noch einige … Lücken. Tut mir leid wegen Ihrer Frau … Iris?«
»Ich hab dich nicht mehr gesehen, seit es passiert ist. Du bist nie mehr vorbei…«
»Was ist …?«
Er stellt das Tablett auf den Tisch und gießt dampfend heißen Tee in zwei Becher. Ich glaube schon, dass er mich nicht gehört oder nicht verstanden hat, was ich gefragt habe, doch nachdem er mir den Becher gereicht und sich mit seinem eigenen im Sessel
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