Drowning - Tödliches Element (German Edition)
überhaupt kein Traum. Der Fluss ist über die Ufer getreten. Neisha ist in Gefahr.
»Bist du okay?«, ruft sie herunter.
Sie beugt sich jetzt über den Fenstersims. Ihre nassen Haare fallen zu beiden Seiten des Gesichts nach vorn, so wie ein Vorhang.
»Ist nur schwer, das ist alles.«
»Ihr könnt es doch zusammen machen. Zu zweit schafft ihr es vielleicht.«
»Was?« Was sie sagt, ergibt keinen Sinn.
»Ihr könnt es doch zusammen machen. Du und … du und wer immer das hinter …O mein Gott. Nein, nein, nein!« Sie starrt auf das Wasser hinter mir.
Sie hat Angst vor irgendwas, das sie in dieser trüben Brühe gesehen hat. Rob? Ich schaue mich panisch um, doch da ist nichts.
Sie ist zurück in ihr Zimmer gegangen, wie ich es wollte, wie ich es die ganze Zeit gesagt habe – aber ihr Gesicht, der letzte kurze Blick, den ich gesehen habe, bevor sie zurückwich, war ein einziger Ausdruck des Horrors. Ist Rob hier? Kann sie ihn sehen? Aber wie ist das möglich? Sie konnte ihn doch sonst nicht sehen?
Wenn ich vorher Angst hatte, dann ist die Angst jetzt zehnmal so groß. Ich muss da rein. Sie braucht mich.
Ich hole tief Luft und tauche noch einmal unter, beuge mich steil hinab, damit ich besser zupacken und beim Heben stärker die Beine nutzen kann. Und diesmal rührt sich der Topf. Ich nehme ihn in beide Hände, stemme mich mit den Beinen empor und da bin ich. Ich taumle durch das Wasser zum Fenster, stöhne vor Anstrengung. Mir bleibt nur ein einziger Wurf. Ich versuche Schwung zu holen, und werfe den Topf mit aller Kraft, die ich noch habe. Er prallt gegen das Glas, doch er geht nicht hindurch, sondern stürzt wieder ins Wasser, und ich springe zurück, damit er mir nicht auf die Füße fällt.
»Scheiße!«
Ich keuche nach Luft, enttäuscht und wütend über mein Scheitern. Dann schaue ich wieder zum Fenster und sehe, dass die Scheibe gesprungen ist. Ich bin also wenigstens halb am Ziel. Ich brauche nur irgendwas für das letzte Stück. Ich mache eine Faust und überlege, ob ich es damit schaffe. Ich brauche etwas zum Drumwickeln, um die Hand zu schützen und mir nicht die Schlagader aufzuschneiden – das Einzige, was ich habe, sind meine Shorts.
Plötzlich, ohne Vorwarnung, spüre ich einen scharfen Schmerz in der Schulter. Ich drehe mich um. Ein Holzstuhl schießt neben mir aus dem Wasser hoch und ich blute aus einer hässlichen Platzwunde.
»Ich hab die Polizei gerufen«, schreit Neisha. »Ich hab meinen Dad angerufen. Die kommen gleich alle her. Ist also besser, wenn du verschwindest!«
Das war sie , sie hat den Stuhl geworfen.
»Hau ab! Verschwinde!«
»Ich versuch, dir zu helfen!«
»Du elender Lügner! Du Wichser! Verschwinde, Carl Adams! Hau ab! Hau ab, bevor sie dich festnehmen!«
Sie ist verrückt geworden. Aber ich habe keine Zeit vernünftig mit ihr zu reden. Sie hat mir das Werkzeug gegeben, das ich brauche, um ins Haus zu kommen. Und ich muss zu ihr, muss vor Rob bei ihr sein.
Ich packe den Stuhl, schwinge ihn über den Kopf und ziele auf die gesprungene Scheibe. Er knallt ins Fenster, ich habe es geschafft. Über mir höre ich Neisha schreien wie von Sinnen. Irgendetwas anderes kommt durch die Luft geflogen und klatscht dicht hinter mir ins Wasser.
Ich lege meine Hände auf den Fenstersims, schaue kurz, ob irgendwo Glassplitter sind, dann schwinge ich mit einem kleinen Sprung die Beine nach oben und hocke mich auf die Kante. Schließlich lasse ich mich ins Wohnzimmer gleiten und wate durch das Wasser in Richtung Flur. Nur dass es nicht bloß Wasser ist. In der Brühe schwimmen Papierreste und alle möglichen Arten von Müll. Ich versuche mir nicht vorzustellen, was noch in dem Wasser ist. Ich schaue nach oben, anstatt nach unten und erwarte, Neisha auf der Treppe zu sehen. Aber sie ist nicht da.
Das Haus ist schaurig still. Das Wasser schlägt leise gegen die Stufen. Möbel rucken träge gegen die Tapete. Regen prasselt an die Scheiben.
»Neisha?«
Keine Antwort.
Die Stille bewirkt, dass plötzlich alles verkehrt scheint, als ob ich nicht hier sein sollte. Aber ich bin hier, um sie zu retten, sage ich mir. Ich bin hier, um der Held zu sein, für den sie mich gehalten hat.
»Neisha?«
Ich schaue mich um. Noch immer kein Rob. Ich bin jetzt unten an der Treppe. Ich steige hinauf, trete Schritt für Schritt aus dem Wasser. Ich habe mich fast zu Tode geschunden, um hierherzukommen, doch jetzt graut mir. Mein Herz schlägt wie verrückt. Ich strenge Augen und Ohren an, um
Weitere Kostenlose Bücher