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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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fanden sich manchmal
    nächtliche Wachgruppen, welche die Bewachung sehr
    lax durchführten, absichtlich in eine ferne Ecke sich zu-
    sammensetzten und dort sich ins Kartenspiel vertieen, 
    in der offenbaren Absicht, dem Hungerkünstler eine
    kleine Erfrischung zu gönnen, die er ihrer Meinung nach
    aus irgendwelchen geheimen Vorräten hervorholen
    konnte. Nichts war dem Hungerkünstler quälender als
    solche Wächter; sie machten ihn trübselig; sie machten 
    ihm das Hungern entsetzlich schwer; manchmal über-
    wand er seine Schwäche und sang während dieser Wach-
    zeit, solange er es nur aushielt, um den Leuten zu zeigen,
    wie ungerecht sie ihn verdächtigten. Doch half das we-
    nig; sie wunderten sich dann nur über seine Geschick- 
    lichkeit, selbst während des Singens zu essen. Viel lieber
    waren ihm die Wächter, welche sich eng zum Gitter
    [  ]
    setzten, mit der trüben Nachtbeleuchtung des Saales sich
    nicht begnügten, sondern ihn mit den elektrischen Ta-
    schenlampen bestrahlten, die ihnen der Impresario zur
    Verfügung stellte. Das grelle Licht störte ihn gar nicht,
     schlafen konnte er ja überhaupt nicht, und ein wenig
    hindämmern konnte er immer, bei jeder Beleuchtung
    und zu jeder Stunde, auch im übervollen, lärmenden
    Saal. Er war sehr gerne bereit, mit solchen Wächtern die
    Nacht gänzlich ohne Schlaf zu verbringen; er war bereit,
     mit ihnen zu scherzen, ihnen Geschichten aus seinem
    Wanderleben zu erzählen, dann wieder ihre Erzählungen
    anzuhören, alles nur um sie wachzuhalten, um ihnen
    immer wieder zeigen zu können, daß er nichts Eßbares
    im Käfig hatte und daß er hungerte, wie keiner von ih-
     nen es könnte. Am glücklichsten aber war er, wenn dann
    der Morgen kam, und ihnen auf seine Rechnung ein
    überreiches Frühstück gebracht wurde, auf das sie sich
    warfen mit dem Appetit gesunder Männer nach einer
    mühevoll durchwachten Nacht. Es gab zwar sogar Leute,
     die in diesem Frühstück eine ungebührliche Beeinflus-
    sung der Wächter sehen wollten, aber das ging doch zu
    weit, und wenn man sie fragte, ob etwa sie nur um der
    Sache willen ohne Frühstück die Nachtwache überneh-
    men wollten, verzogen sie sich, aber bei ihren Verdächti-
     gungen blieben sie dennoch.
    Dieses allerdings gehörte schon zu den vom Hungern
    überhaupt nicht zu trennenden Verdächtigungen. Nie-
    [  ]
    mand war ja imstande, alle die Tage und Nächte beim
    Hungerkünstler ununterbrochen als Wächter zu ver-
    bringen, niemand also konnte aus eigener Anschauung
    wissen, ob wirklich ununterbrochen, fehlerlos gehungert
    worden war; nur der Hungerkünstler selbst konnte das 
    wissen, nur er also gleichzeitig der von seinem Hungern
    vollkommen befriedigte Zuschauer sein. Er aber war
    wieder aus einem andern Grunde niemals befriedigt;
    vielleicht war er gar nicht vom Hungern so sehr abgema-
    gert, daß manche zu ihrem Bedauern den Vorführungen 
    fernbleiben mußten, weil sie seinen Anblick nicht ertru-
    gen, sondern er war nur so abgemagert aus Unzufrie-
    denheit mit sich selbst. Er allein nämlich wußte, auch
    kein Eingeweihter sonst wußte das, wie leicht das Hun-
    gern war. Es war die leichteste Sache von der Welt. Er 
    verschwieg es auch nicht, aber man glaubte ihm nicht,
    hielt ihn günstigstenfalls für bescheiden, meist aber für
    reklamesüchtig oder gar für einen Schwindler, dem das
    Hungern allerdings leicht war, weil er es sich leicht zu
    machen verstand, und der auch noch die Stirn hatte, es 
    halb zu gestehn. Das alles mußte er hinnehmen, hatte
    sich auch im Laufe der Jahre daran gewöhnt, aber inner-
    lich nagte diese Unbefriedigtheit immer an ihm, und
    noch niemals, nach keiner Hungerperiode – dieses Zeug-
    nis mußte man ihm ausstellen – hatte er freiwillig den 
    Käfig verlassen. Als Höchstzeit für das Hungern hatte
    der Impresario vierzig Tage festgesetzt, darüber hinaus
    [  ]
    ließ er niemals hungern, auch in den Weltstädten nicht,
    und zwar aus gutem Grund. Vierzig Tage etwa konnte
    man erfahrungsgemäß durch allmählich sich steigernde
    Reklame das Interesse einer Stadt immer mehr aufsta-
     cheln, dann aber versagte das Publikum, eine wesentli-
    che Abnahme des Zuspruchs war festzustellen; es be-
    standen natürlich in dieser Hinsicht kleine Unterschiede
    zwischen den Städten und Ländern, als Regel aber galt,
    daß vierzig Tage die Höchstzeit war. Dann also am

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