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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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einem entscheidenden Punkt die Sache unterschätzte,
    denn er riet mir ernstlich, ein wenig zu verreisen. Kein
    Rat könnte unverständiger sein; die Dinge liegen zwar
    einfach, jeder kann sie, wenn er näher hinzutritt, durch-
    schauen, aber so einfach sind sie doch auch nicht, daß 
    durch mein Wegfahren alles oder auch nur das Wichtig-
    ste in Ordnung käme. Im Gegenteil, vor dem Wegfahren
    muß ich mich vielmehr hüten; wenn ich überhaupt ir-
    gendeinen Plan befolgen soll, dann jedenfalls den, die
    Sache in ihren bisherigen, engen, die Außenwelt noch 
    nicht einbeziehenden Grenzen zu halten, also ruhig zu
    bleiben, wo ich bin, und keine großen, durch diese Sa-
    che veranlaßten, auffallenden Veränderungen zuzulassen,
    wozu auch gehört, mit niemandem davon zu sprechen,
    aber dies alles nicht deshalb, weil es irgendein gefährli- 
    ches Geheimnis wäre, sondern deshalb, weil es eine klei-
    ne, rein persönliche und als solche immerhin leicht zu
    [  ]
    tragende Angelegenheit ist und weil sie dieses auch blei-
    ben soll. Darin waren die Bemerkungen des Freundes
    doch nicht ohne Nutzen, sie haben mich nichts Neues
    gelehrt, aber mich in meiner Grundansicht bestärkt.
     Wie es sich ja überhaupt bei genauerem Nachdenken
    zeigt, daß die Veränderungen, welche die Sachlage im
    Laufe der Zeit erfahren zu haben scheint, keine Verände-
    rungen der Sache selbst sind, sondern nur die Entwick-
    lung meiner Anschauung von ihr, insofern, als diese An-
     schauung teils ruhiger, männlicher wird, dem Kern nä-
    her kommt, teils allerdings auch unter dem nicht zu ver-
    windenden Einfluß der fortwährenden Erschütterungen,
    seien diese auch noch so leicht, eine gewisse Nervosität
    annimmt.
     Ruhiger werde ich der Sache gegenüber, indem ich zu
    erkennen glaube, daß eine Entscheidung, so nahe sie
    manchmal bevorzustehen scheint, doch wohl noch nicht
    kommen wird; man ist leicht geneigt, besonders in jun-
    gen Jahren, das Tempo, in dem Entscheidungen kom-
     men, sehr zu überschätzen; wenn einmal meine kleine
    Richterin, schwach geworden durch meinen Anblick,
    seitlich in den Sessel sank, mit der einen Hand sich an
    der Rückenlehne festhielt, mit der anderen an ihrem
    Schnürleib nestelte, und Tränen des Zornes und der Ver-
     zweiflung ihr die Wangen hinabrollten, dachte ich im-
    mer, nun sei die Entscheidung da und gleich würde ich
    vorgerufen werden, mich zu verantworten. Aber nichts
    [  ]
    von Entscheidung, nichts von Verantwortung, Frauen
    wird leicht übel, die Welt hat nicht Zeit, auf alle Fälle
    aufzupassen. Und was ist denn eigentlich in all den Jah-
    ren geschehn? Nichts weiter, als daß sich solche Fälle
    wiederholten, einmal stärker, einmal schwächer, und 
    daß nun also ihre Gesamtzahl größer ist. Und daß Leute
    sich in der Nähe herumtreiben und gern eingreifen wür-
    den, wenn sie eine Möglichkeit dazu finden würden;
    aber sie finden keine, bisher verlassen sie sich nur auf
    ihre Witterung, und Witterung allein genügt zwar, um 
    ihren Besitzer reichlich zu beschäigen, aber zu ande-
    rem taugt sie nicht. So aber war es im Grunde immer,
    immer gab es diese unnützen Eckensteher und Luein-
    atmer, welche ihre Nähe immer auf irgendeine über-
    schlaue Weise, am liebsten durch Verwandtscha, ent- 
    schuldigten, immer haben sie aufgepaßt, immer haben
    sie die Nase voll Witterung gehabt, aber das Ergebnis
    alles dessen ist nur, daß sie noch immer dastehn. Der
    ganze Unterschied besteht darin, daß ich sie allmählich
    erkannt habe, ihre Gesichter unterscheide; früher habe 
    ich geglaubt, sie kämen allmählich von überall her zu-
    sammen, die Ausmaße der Angelegenheit vergrößerten
    sich und würden von selbst die Entscheidung erzwin-
    gen; heute glaube ich zu wissen, daß das alles von alters-
    her da war und mit dem Herankommen der Entschei- 
    dung sehr wenig oder nichts zu tun hat. Und die Ent-
    scheidung selbst, warum benenne ich sie mit einem so
    [  ]
    großen Wort? Wenn es einmal – und gewiß nicht morgen
    und übermorgen und wahrscheinlich niemals – dazu
    kommen sollte, daß sich die Öffentlichkeit doch mit die-
    ser Sache, für die sie, wie ich immer wiederholen werde,
     nicht zuständig ist, beschäigt, werde ich zwar nicht
    unbeschädigt aus dem Verfahren hervorgehen, aber es
    wird doch wohl in Betracht gezogen werden, daß ich der
    Öffentlichkeit nicht unbekannt bin,

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