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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Künstler sich in einen ruhigen Zirkusposten flüchten
    wolle, im Gegenteil, der Hungerkünstler versicherte,
    daß er, was durchaus glaubwürdig war, ebensogut hun-
    gere wie früher, ja er behauptete sogar, er werde, wenn
    man ihm seinen Willen lasse, und dies versprach man
     ihm ohne weiteres, eigentlich erst jetzt die Welt in be-
    rechtigtes Erstaunen setzen, eine Behauptung allerdings,
    die mit Rücksicht auf die Zeitstimmung, welche der
    Hungerkünstler im Eifer leicht vergaß, bei den Fachleu-
    ten nur ein Lächeln hervorrief.
     Im Grunde aber verlor auch der Hungerkünstler den
    Blick für die wirklichen Verhältnisse nicht und nahm es
    als selbstverständlich hin, daß man ihn mit seinem Käfig
    nicht etwa als Glanznummer mitten in die Manege stell-
    te, sondern draußen an einem im übrigen recht gut zu-
     gänglichen Ort in der Nähe der Stallungen unterbrachte.
    Große, bunt gemalte Aufschrien umrahmten den Käfig
    und verkündeten, was dort zu sehen war. Wenn das Pu-
    blikum in den Pausen der Vorstellung zu den Ställen
    drängte, um die Tiere zu besichtigen, war es fast unver-
     meidlich, daß es beim Hungerkünstler vorüberkam und
    ein wenig dort haltmachte, man wäre vielleicht länger
    bei ihm geblieben, wenn nicht in dem schmalen Gang
    [  ]
    die Nachdrängenden, welche diesen Aufenthalt auf dem
    Weg zu den ersehnten Ställen nicht verstanden, eine län-
    gere ruhige Betrachtung unmöglich gemacht hätten.
    Dieses war auch der Grund, warum der Hungerkünstler
    vor diesen Besuchszeiten, die er als seinen Lebenszweck 
    natürlich herbeiwünschte, doch auch wieder zitterte. In
    der ersten Zeit hatte er die Vorstellungspausen kaum
    erwarten können; entzückt hatte er der sich heranwäl-
    zenden Menge entgegengesehn, bis er sich nur zu bald –
    auch die hartnäckigste, fast bewußte Selbsttäuschung 
    hielt den Erfahrungen nicht stand – davon überzeugte,
    daß es zumeist der Absicht nach, immer wieder, aus-
    nahmslos, lauter Stallbesucher waren. Und dieser An-
    blick von der Ferne blieb noch immer der schönste.
    Denn wenn sie bis zu ihm herangekommen waren, um- 
    tobte ihn sofort Geschrei und Schimpfen der ununter-
    brochen neu sich bildenden Parteien, jener, welche – sie
    wurde dem Hungerkünstler bald die peinlichere – ihn
    bequem ansehen wollte, nicht etwa aus Verständnis, son-
    dern aus Laune und Trotz, und jener zweiten, die zu- 
    nächst nur nach den Ställen verlangte. War der große
    Haufe vorüber, dann kamen die Nachzügler, und diese
    allerdings, denen es nicht mehr verwehrt war, stehen zu
    bleiben, solange sie nur Lust hatten, eilten mit langen
    Schritten, fast ohne Seitenblick, vorüber, um rechtzeitig 
    zu den Tieren zu kommen. Und es war kein allzu häufi-
    ger Glücksfall, daß ein Familienvater mit seinen Kindern
    [  ]
    kam, mit dem Finger auf den Hungerkünstler zeigte,
    ausführlich erklärte, um was es sich hier handelte, von
    früheren Jahren erzählte, wo er bei ähnlichen, aber un-
    vergleichlich großartigeren Vorführungen gewesen war,
     und dann die Kinder, wegen ihrer ungenügenden Vorbe-
    reitung von Schule und Leben her, zwar immer noch
    verständnislos blieben – was war ihnen Hungern? – aber
    doch in dem Glanz ihrer forschenden Augen etwas von
    neuen, kommenden, gnädigeren Zeiten verrieten. Viel-
     leicht, so sagte sich der Hungerkünstler dann manchmal,
    würde alles doch ein wenig besser werden, wenn sein
    Standort nicht gar so nahe bei den Ställen wäre. Den
    Leuten wurde dadurch die Wahl zu leicht gemacht, nicht
    zu reden davon, daß ihn die Ausdünstungen der Ställe,
     die Unruhe der Tiere in der Nacht, das Vorübertragen
    der rohen Fleischstücke für die Raubtiere, die Schreie
    bei der Fütterung sehr verletzten und dauernd bedrück-
    ten. Aber bei der Direktion vorstellig zu werden, wagte
    er nicht; immerhin verdankte er ja den Tieren die Menge
     der Besucher, unter denen sich hie und da auch ein für
    ihn Bestimmter finden konnte, und wer wußte, wohin
    man ihn verstecken würde, wenn er an seine Existenz
    erinnern wollte und damit auch daran, daß er, genau
    genommen, nur ein Hindernis auf dem Weg zu den Stäl-

 len war.
    Ein kleines Hindernis allerdings, ein immer kleiner
    werdendes Hindernis. Man gewöhnte sich an die Son-
    [  ]
    derbarkeit, in den heutigen Zeiten Aufmerksamkeit für
    einen Hungerkünstler beanspruchen zu wollen, und

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