Drucke zu Lebzeiten
in ihrem vollen
Licht seit jeher lebe, vertrauensvoll und Vertrauen ver-
dienend, und daß deshalb diese nachträglich hervorge-
kommene leidende kleine Frau, die nebenbei bemerkt
ein anderer als ich vielleicht längst als Klette erkannt und
für die Öffentlichkeit völlig geräuschlos unter seinem
Stiefel zertreten hätte, daß diese Frau doch schlimmsten-
falls nur einen kleinen häßlichen Schnörkel dem Diplom
hinzufügen könnte, in welchem mich die Öffentlichkeit
längst als ihr achtungswertes Mitglied erklärt. Das ist der
heutige Stand der Dinge, der also wenig geeignet ist,
mich zu beunruhigen.
Daß ich mit den Jahren doch ein wenig unruhig ge-
worden bin, hat mit der eigentlichen Bedeutung der Sa-
che gar nichts zu tun; man hält es einfach nicht aus,
jemanden immerfort zu ärgern, selbst wenn man die
Grundlosigkeit des Ärgers wohl erkennt; man wird un-
ruhig, man fängt an, gewissermaßen nur körperlich, auf
Entscheidungen zu lauern, auch wenn man an ihr Kom-
men vernünigerweise nicht sehr glaubt. Zum Teil aber
[ ]
handelt es sich auch nur um eine Alterserscheinung; die
Jugend kleidet alles gut; unschöne Einzelheiten verlieren
sich in der unauörlichen Kraquelle der Jugend; mag
einer als Junge einen etwas lauernden Blick gehabt ha-
ben, er ist ihm nicht übelgenommen, er ist gar nicht
bemerkt worden, nicht einmal von ihm selbst, aber, was
im Alter übrigbleibt, sind Reste, jeder ist nötig, keiner
wird erneut, jeder steht unter Beobachtung, und der lau-
ernde Blick eines alternden Mannes ist eben ein ganz
deutlich lauernder Blick, und es ist nicht schwierig, ihn
festzustellen. Nur ist es aber auch hier keine wirkliche
sachliche Verschlimmerung.
Von wo aus also ich es auch ansehe, immer wieder
zeigt sich und dabei bleibe ich, daß, wenn ich mit der
Hand auch nur ganz leicht diese kleine Sache verdeckt
halte, ich noch sehr lange, ungestört von der Welt, mein
bisheriges Leben ruhig werde fortsetzen dürfen, trotz
allen Tobens der Frau.
Ein Hungerkünstler
In den letzten Jahrzehnten ist das Interesse an Hunger-
künstlern sehr zurückgegangen. Während es sich früher
gut lohnte, große derartige Vorführungen in eigener Re-
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gie zu veranstalten, ist dies heute völlig unmöglich. Es
waren andere Zeiten. Damals beschäigte sich die ganze
Stadt mit dem Hungerkünstler; von Hungertag zu Hun-
gertag stieg die Teilnahme; jeder wollte den Hunger-
künstler zumindest einmal täglich sehn; an den spätem
Tagen gab es Abonnenten, welche tagelang vor dem klei-
nen Gitterkäfig saßen; auch in der Nacht fanden Besich-
tigungen statt, zur Erhöhung der Wirkung bei Fackel-
schein; an schönen Tagen wurde der Käfig ins Freie ge-
tragen, und nun waren es besonders die Kinder, denen
der Hungerkünstler gezeigt wurde; während er für die
Erwachsenen o nur ein Spaß war, an dem sie der Mode
halber teilnahmen, sahen die Kinder staunend, mit offe-
nem Mund, der Sicherheit halber einander bei der Hand
haltend, zu, wie er bleich, im schwarzen Trikot, mit
mächtig vortretenden Rippen, sogar einen Sessel ver-
schmähend, auf hingestreutem Stroh saß, einmal höflich
nickend, angestrengt lächelnd Fragen beantwortete,
auch durch das Gitter den Arm streckte, um seine Ma-
gerkeit befühlen zu lassen, dann aber wieder ganz in sich
selbst versank, um niemanden sich kümmerte, nicht ein-
mal um den für ihn so wichtigen Schlag der Uhr, die das
einzige Möbelstück des Käfigs war, sondern nur vor sich
hinsah mit fast geschlossenen Augen und hie und da aus
einem winzigen Gläschen Wasser nippte, um sich die
Lippen zu feuchten.
Außer den wechselnden Zuschauern waren auch stän-
[ ]
dige, vom Publikum gewählte Wächter da, merkwürdi-
gerweise gewöhnlich Fleischhauer, welche, immer drei
gleichzeitig, die Aufgabe hatten, Tag und Nacht den
Hungerkünstler zu beobachten, damit er nicht etwa auf
irgendeine heimliche Weise doch Nahrung zu sich neh-
me. Es war das aber lediglich eine Formalität, eingeführt
zur Beruhigung der Massen, denn die Eingeweihten
wußten wohl, daß der Hungerkünstler während der
Hungerzeit niemals, unter keinen Umständen, selbst un-
ter Zwang nicht, auch das Geringste nur gegessen hätte;
die Ehre seiner Kunst verbot dies. Freilich, nicht jeder
Wächter konnte das begreifen, es
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