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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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mit
    dieser Gewöhnung war das Urteil über ihn gesprochen.
    Er mochte so gut hungern, als er nur konnte, und er tat
    es, aber nichts konnte ihn mehr retten, man ging an ihm 
    vorüber. Versuche, jemandem die Hungerkunst zu er-
    klären! Wer es nicht fühlt, dem kann man es nicht be-
    greiflich machen. Die schönen Aufschrien wurden
    schmutzig und unleserlich, man riß sie herunter, nie-
    mandem fiel es ein, sie zu ersetzen; das Täfelchen mit 
    der Ziffer der abgeleisteten Hungertage, das in der ersten
    Zeit sorgfältig täglich erneut worden war, blieb schon
    längst immer das gleiche, denn nach den ersten Wochen
    war das Personal selbst dieser kleinen Arbeit überdrüssig
    geworden; und so hungerte zwar der Hungerkünstler 
    weiter, wie er es früher einmal erträumt hatte, und es
    gelang ihm ohne Mühe ganz so, wie er es damals voraus-
    gesagt hatte, aber niemand zählte die Tage, niemand,
    nicht einmal der Hungerkünstler selbst wußte, wie groß
    die Leistung schon war, und sein Herz wurde schwer. 
    Und wenn einmal in der Zeit ein Müßiggänger stehen
    blieb, sich über die alte Ziffer lustig machte und von
    Schwindel sprach, so war das in diesem Sinn die dümm-
    ste Lüge, welche Gleichgültigkeit und eingeborene Bös-
    artigkeit erfinden konnte, denn nicht der Hungerkünst- 
    ler betrog, er arbeitete ehrlich, aber die Welt betrog ihn
    um seinen Lohn.
    [  ]
    Doch vergingen wieder viele Tage, und auch das nahm
    ein Ende. Einmal fiel einem Aufseher der Käfig auf, und
    er fragte die Diener, warum man hier diesen gut brauch-
    baren Käfig mit dem verfaulten Stroh drinnen unbenutzt
     stehen lasse; niemand wußte es, bis sich einer mit Hilfe
    der Ziffertafel an den Hungerkünstler erinnerte. Man
    rührte mit Stangen das Stroh auf und fand den Hunger-
    künstler darin. „Du hungerst noch immer?“ fragte der
    Aufseher, „wann wirst du denn endlich auören?“
     „Verzeiht mir alle“, flüsterte der Hungerkünstler; nur
    der Aufseher, der das Ohr ans Gitter hielt, verstand ihn.
    „Gewiß“, sagte der Aufseher und legte den Finger an die
    Stirn, um damit den Zustand des Hungerkünstlers dem
    Personal anzudeuten, „wir verzeihen dir.“ „Immerfort
     wollte ich, daß ihr mein Hungern bewundert“, sagte der
    Hungerkünstler. „Wir bewundern es auch“, sagte der
    Aufseher entgegenkommend. „Ihr sollt es aber nicht be-
    wundern“, sagte der Hungerkünstler. „Nun, dann be-
    wundern wir es also nicht“, sagte der Aufseher, „warum
     sollen wir es denn nicht bewundern?“ „Weil ich hungern
    muß, ich kann nicht anders“, sagte der Hungerkünstler.
    „Da sieh mal einer“, sagte der Aufseher, „warum kannst
    du denn nicht anders?“ „Weil ich“, sagte der Hunger-
    künstler, hob das Köpfchen ein wenig und sprach mit
     wie zum Kuß gespitzten Lippen gerade in das Ohr des
    [  ]
    Aufsehers hinein, damit nichts verloren ginge, „weil ich
    nicht die Speise finden konnte, die mir schmeckt. Hätte
    ich sie gefunden, glaube mir, ich hätte kein Aufsehen
    gemacht und mich vollgegessen wie du und alle.“ Das
    waren die letzten Worte, aber noch in seinen gebroche- 
    nen Augen war die feste, wenn auch nicht mehr stolze
    Überzeugung, daß er weiterhungre.
    „Nun macht aber Ordnung!“ sagte der Aufseher, und
    man begrub den Hungerkünstler samt dem Stroh. In den
    Käfig aber gab man einen jungen Panther. Es war eine 
    selbst dem stumpfsten Sinn fühlbare Erholung, in dem
    so lange öden Käfig dieses wilde Tier sich herumwer-
    fen zu sehn. Ihm fehlte nichts. Die Nahrung, die ihm
    schmeckte, brachten ihm ohne langes Nachdenken die
    Wächter; nicht einmal die Freiheit schien er zu vermis- 
    sen; dieser edle, mit allem Nötigen bis knapp zum Zer-
    reißen ausgestattete Körper schien auch die Freiheit mit
    sich herumzutragen; irgendwo im Gebiß schien sie zu
    stecken; und die Freude am Leben kam mit derart star-
    ker Glut aus seinem Rachen, daß es für die Zuschauer 
    nicht leicht war, ihr standzuhalten. Aber sie überwanden
    sich, umdrängten den Käfig und wollten sich gar nicht
    fortrühren.
    [  ]
    Josefine, die Sängerin
    oder
    Das Volk der Mäuse
    Unsere Sängerin heißt Josefine. Wer sie nicht gehört hat,
     kennt nicht die Macht des Gesanges. Es gibt niemanden,
    den ihr Gesang nicht fortreißt, was umso höher zu be-
    werten ist, als unser Geschlecht im ganzen Musik nicht
    liebt. Stiller

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