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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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des
    Rathausturmes beschreibt kleine Kreise. Warum macht
    man nicht Ruhe in dem Gedränge? Alle Fensterscheiben
    lärmen und die Laternenpfähle biegen sich wie Bambus.
    Der Mantel der heiligen Maria auf der Säule windet sich 
    und die stürmische Lu reißt an ihm. Sieht es denn nie-
    mand? Die Herren und Damen, die auf den Steinen ge-
    hen sollten, schweben. Wenn der Wind Atem holt, blei-
    ben sie stehen, sagen einige Worte zueinander und ver-
    neigen sich grüßend, stößt aber der Wind wieder, kön- 
    nen sie ihm nicht widerstehn und alle heben gleichzeitig
    ihre Füße. Zwar müssen sie fest ihre Hüte halten, aber
    ihre Augen schauen lustig, als wäre milde Witterung.
    Nur ich fürchte mich.‘“ –
    Mißhandelt, wie ich war, sagte ich: „Die Geschichte, 
    die Sie früher erzählt haben von Ihrer Frau Mutter und
    der Frau im Garten finde ich gar nicht merkwürdig.
    [  ]
    Nicht nur, daß ich viele derartige Geschichten gehört
    und erlebt habe, so habe ich sogar bei manchen mitge-
    wirkt. Diese Sache ist doch ganz natürlich. Meinen Sie,
    ich hätte, wenn ich am Balkon gewesen wäre, nicht das-
     selbe sagen können und aus dem Garten dasselbe ant-
    worten können? Ein so einfacher Vorfall.“
    Als ich das gesagt hatte, schien er sehr beglückt. Er
    sagte, daß ich hübsch gekleidet sei, und daß ihm meine
    Halsbinde sehr gefalle. Und was für eine feine Haut ich
     hätte. Und Geständnisse würden am klarsten, wenn man
    sie widerriefe.
    [  ]
    Gespräch mit dem Betrunkenen
    Als ich aus dem Haustor mit kleinern Schritte trat, wur-
    de ich von dem Himmel mit Mond und Sternen und
    großer Wölbung und von dem Ringplatz mit Rathaus,
    Mariensäule und Kirche überfallen.
    
    Ich ging ruhig aus dem Schatten ins Mondlicht, knöpf-
    te den Überzieher auf und wärmte mich; dann ließ ich
    durch Erheben der Hände das Sausen der Nacht schwei-
    gen und fing zu überlegen an:
    „Was ist es doch, daß Ihr tut, als wenn Ihr wirklich 
    wäret. Wollt Ihr mich glauben machen, daß ich unwirk-
    lich bin, komisch auf dem grünen Pflaster stehend? Aber
    doch ist es schon lange her, daß du wirklich warst, du
    Himmel, und du Ringplatz bist niemals wirklich ge-
    wesen.“
    
    „Es ist ja wahr, noch immer seid Ihr mir überlegen,
    aber doch nur dann, wenn ich Euch in Ruhe lasse.“
    „Gott sei Dank, Mond, du bist nicht mehr Mond, aber
    vielleicht ist es nachlässig von mir, daß ich dich Mond-
    benannten noch immer Mond nenne. Warum bist du 
    nicht mehr so übermütig, wenn ich dich nenne ,Verges-
    sene Papierlaterne in merkwürdiger Farbe‘. Und warum
    [  ]
    ziehst du dich fast zurück, wenn ich dich ,Mariensäule‘
    nenne und ich erkenne deine drohende Haltung nicht
    mehr Mariensäule, wenn ich dich nenne ,Mond, der gel-
    bes Licht wir‘.“
     „Es scheint nun wirklich, daß es Euch nicht gut tut,
    wenn man über Euch nachdenkt; Ihr nehmt ab an Mut
    und Gesundheit.“
    „Gott, wie zuträglich muß es erst sein, wenn Nach-
    denkender vom Betrunkenen lernt!“
     „Warum ist alles still geworden. Ich glaube es ist kein
    Wind mehr. Und die Häuschen, die o wie auf kleinen
    Rädern über den Platz rollen, sind ganz festgestamp –
    still – still – man sieht gar nicht den dünnen, schwarzen
    Strich, der sie sonst vom Boden trennt.“
     Und ich setzte mich in Lauf. Ich lief ohne Hindernis
    dreimal um den großen Platz herum und da ich keinen
    Betrunkenen traf, lief ich ohne die Schnelligkeit zu un-
    terbrechen und ohne Anstrengung zu verspüren gegen
    die Karlsgasse. Mein Schatten lief o kleiner als ich ne-
     ben mir an der Wand, wie in einem Hohlweg zwischen
    Mauer und Straßengrund.
    Als ich bei dem Hause der Feuerwehr vorüberkam,
    hörte ich vom kleinen Ring her Lärm und als ich dort
    einbog, sah ich einen Betrunkenen am Gitterwerk des
     Brunnens stehn, die Arme wagrecht haltend und mit
    den Füßen, die in Holzpantoffeln staken, auf die Erde
    stampfend.
    [  ]
    Ich blieb zuerst stehn, um meine Atmung ruhig wer-
    den zu lassen, dann ging ich zu ihm, nahm meinen Zy-
    linder vom Kopfe und stellte mich vor:
    „Guten Abend, zarter Edelmann, ich bin dreiund-
    zwanzig Jahre alt, aber ich habe noch keinen Namen. Sie 
    aber kommen sicher mit erstaunlichen, ja mit singbaren
    Namen aus dieser großen Stadt Paris. Der ganz unnatür-
    liche Geruch des ausgleitenden Hofes von Frankreich
    umgibt

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