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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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er sich nicht für fähig hält, freie Tage zu ertragen; Samuel
    muß von seiner (überdies erfolgreichen und sehr geschätzten)
    Arbeit leben.
    Die beiden, obwohl Schulkollegen, sind während dieser be- 
    schriebenen Reise zum erstenmal andauernd mit einander allein.
    Sie schätzen einander, obwohl sie einander unbegreiflich erschei-
    nen. Anziehung und Abstoßung wird vielartig gefühlt. Es wird
    beschrieben, wie sich dieses Verhältnis zunächst zu überhitzter
    Intimität anstachelt, dann nach manchen Zwischenfällen auf dem 
    gefährlichen Boden von Mailand und Paris in männliches Ver-
    [  ]
    ständnis gegenseitig beruhigt und ganz befestigt. Die Reise
    schließt damit, daß die beiden Freunde ihre Fähigkeiten zu einem
    neuen eigenartigen Kunstunternehmen vereinigen.
    Die vielen Nuancen, deren Freundschasbeziehungen zwi-
     schen Männern fähig sind, darzustellen und zugleich die berei-
    sten Länder durch eine widerspruchsvolle Doppelbeleuchtung in
    einer Frische und Bedeutung sehn zu lassen, wie sie o mit Un-
    recht nur exotischen Gegenden zugeschrieben werden: ist der
    Sinn dieses Buches.
    
    Die erste lange Eisenbahnfahrt (Prag–Zürich)
    Samuel: Abfahrt . VIII.  Mittag  Uhr  Min.
    Richard: Beim Anblick Samuels, der in seinen be-
    kannten winzigen Taschenkalender etwas Kurzes ein-
    trägt, habe ich wieder die alte schöne Idee, jeder von uns
     solle ein Tagebuch über diese Reise führen. Ich sage es
    ihm. Er lehnt zuerst ab, dann stimmt er zu, er begründet
    beides, ich verstehe es beidemal nur oberflächlich, aber
    das macht nichts, wenn wir nur Tagebücher führen wer-
    den. – Jetzt lacht er schon wieder über mein Notizbuch,
     welches allerdings, in Glanzleinen schwarz eingebun-
    den, neu, sehr groß, quadratisch, eher einem Schulhe
    ähnelt. Ich sehe voraus, daß es schwer und jedenfalls
    lästig sein wird, dieses He während der ganzen Reise in
    [  ]
    der Tasche zu tragen. Übrigens kann ich mir auch in
    Zürich mit ihm zugleich ein praktisches kaufen. Er hat
    auch eine Füllfeder. Ich werde mir sie hie und da aus-
    borgen.
    Samuel: In einer Station unserem Fenster gegenüber 
    ein Waggon mit Bäuerinnen. Im Schöße einer, die lacht,
    schlä eine. Aufwachend winkt sie uns, unanständig in
    ihrem Halbschlaf: „Komm“. Als verspotte sie uns, weil
    wir nicht hinüberkönnen. Im Nebenkoupee eine dunkle,
    heroische, ganz unbeweglich. Den Kopf tief zurückge- 
    lehnt schaut sie entlang der Scheibe hinaus. Delphische
    Sibylle.
    Richard: Aber was mir nicht gefällt, ist sein anknüp-
    fenscher, fälschlich Vertrautheit vorgebender, fast liebe-
    dienerischer Gruß an die Bäuerinnen. Nun setzt sich gar 
    der Zug in Bewegung und Samuel bleibt mit seinem zu
    groß angefangenen Lächeln und Mützeschwenken allein.
    – Übertreibe ich nicht? – Samuel liest mir seine erste
    Bemerkung vor, sie macht auf mich einen großen Ein-
    druck. Ich hätte auf die Bäuerinnen mehr Acht geben 
    sollen. – Der Kondukteur fragt, übrigens sehr undeut-
    lich, als hätte er es mit lauter Leuten zu tun, die diese
    Strecke schon o gefahren sind, ob jemand für Pilsen
    Kaffee bestellen wolle. Bestellt man, so klebt er einen
    schmalen grünen Zettel für jede Portion ans Koupeefen- 
    ster, so wie in Misdroy ehemals, so lange es keine Lan-
    dungsbrücke gab, der ferne Dampfer durch Wimpel die
    [  ]
    Zahl der Boote, die zum Ausbooten benötigt wurden,
    anzeigte. Samuel kennt Misdroy gar nicht. Schade, daß
    ich nicht mit ihm dort war. Es war damals sehr schön.
    Diesmal wird es auch wunderbar schon werden. Die
     Fahrt ist zu schnell, es vergeht zu rasch; die Begierde
    nach weiten Reisen, die ich jetzt habe! – Welch ein alter-
    tümlicher Vergleich ist der obige, da seit fünf Jahren der
    Landungssteg in Misdroy steht. – Der Kaffee in Pilsen
    auf dem Perron. Man muß ihn mit Zettel nicht nehmen
     und bekommt ihn auch ohne.
    Samuel: Vom Perron aus sehn wir ein fremdes Mäd-
    chen aus unserem Koupee herausschauen, die spätere
    Dora Lippen. Hübsch, dicknasig, kleiner Halsausschnitt
    in weißer Spitzenbluse. Erste gemeinschaliche Tatsache
     bei der Weiterfahrt: ihr großer Hut in seiner Papierhülle
    schwebt aus dem Gepäcknetz leicht auf meinen Kopf
    herab. – Wir erfahren, daß sie die Tochter eines nach
    Innsbruck versetzten Offiziers ist und zu ihren Eltern
    fährt, die sie

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