Drucke zu Lebzeiten
von Weber, München .
Ob es will, oder nicht, es ist ein Buch um junge Leute
glücklich zu machen.
Vielleicht muß der Leser, während er diesen Roman in
Briefform zu lesen beginnt, aus Not ein wenig einfältig
werden, denn ein Leser kann nicht gedeihen, beugt man
seinen Kopf sogleich mit dem ersten Ruck über den un-
veränderlichen Strom eines Gefühls. Und vielleicht ist
diese Einfalt des Lesers die Ursache, daß ihm die Schwä-
chen des Autors hier im Anfang geradezu morgendlich
klar erscheinen: Eine beschränkte Terminologie von
Werthers Schatten umkreist, schmerzlich den Ohren mit
immer „süß“ und immer „hold“. Ein beständig wieder-
kehrendes Entzücken, dessen Fülle niemals aufgegeben
wird, das aber, o nur noch gerade an den Worten hän-
gend, tot durch die Seiten geht.
Wird dann aber der Leser vertrauter, bekommt er ei-
nen geschützten Platz, dessen Boden schon gemeinsam
mit dem Boden der Geschichte zittert, dann ist die Ein-
sicht nicht mehr schwierig, daß die Briefform des Ro-
mans den Autor fast mehr braucht, als er sie. Die Brief-
[ ]
form gestattet, einen raschen Wechsel aus einem dauern-
den Zustand herauszuschildern, ohne daß der rasche
Wechsel um seine Raschheit kommt; sie gestattet, einen
dauernden Zustand durch einen Aufschrei bekannt zu
machen und die Dauer bleibt daneben bestehn. Sie er-
laubt ohne Schaden die Entwicklung aufzuhalten, denn
während der Mann, dessen berechtigte Hitze uns erregt,
seine Briefe schreibt, schonen ihn alle Mächte, die Vor-
hänge sind herabgelassen und bei Ruhigsein des ganzen
Körpers schiebt er gleichmäßig seine Hand über das
Briefpapier. Es wird des Nachts im Halbschlaf geschrie-
ben; je größer die Augen hiebei sind, desto früher fallen
sie zu. Es werden zwei Briefe hinter einander an ver-
schiedene Adressaten geschrieben und der zweite mit
einem Kopf, der nur an den ersten denkt. Es werden
Briefe abends, in der Nacht und am Morgen geschrie-
ben, und das Gesicht am Morgen schaut über das schon
unkenntliche Nachtgesicht hinweg, dem Gesicht vom
Abend noch mit Verständnis in die Augen. Die Worte
„Liebstes, liebstes Gretchen!“ kommen verdeckt zwi-
schen zwei großen Sätzen hervor, stoßen durch die
Überraschung beide zurück und bekommen alle Frei-
heit.
Und wir verlassen alles, den Ruhm, die Dichtkunst,
die Musik und verlieren uns, wie wir sind, in jenes som-
merliche Land, wo die Felder und Wiesen „ähnlich wie
im Holländischen, von schmalen, dunklen Wasserarmen
[ ]
durchzogen sind“, wo im Kreise erwachsener Mädchen,
kleiner Kinder und einer klugen Frau Oswald in das
Gretchen beim Tiktak kleiner gesprochener Sätze sich
verliebt. Dieses Gretchen lebt in der tiefsten Stelle des
Romans; von allen Seiten, immer wieder, stürzen wir
ihm zu. Selbst Oswald verlieren wir hie und da aus den
Augen, sie nicht, selbst durch das lauteste Lachen ihrer
kleinen Gesellscha sehn wir sie wie durch ein Gebüsch.
Jedoch kaum sehn wir sie, ihre einfache Gestalt, schon
sind wir ihr so nahe, daß wir sie nicht mehr sehen kön-
nen, kaum fühlen wir sie nahe, sind wir ihr schon entris-
sen und sehn sie klein in der Ferne. „Sie lehnte ihr Köpf-
chen an das Birkengeländer, so daß der Mond zur Häle
ihr Gesicht beschien.“
Die Bewunderung für diesen Sommer im Herzen –
wer wagte zu sagen oder besser wer wagte die leichte
Beweisführung, daß sich von da ab das Buch zugleich
mit dem Helden, mit der Liebe, der Treue, zugleich mit
allen guten Dingen geradewegs totschlägt, während bloß
die Dichtkunst des Helden siegt, eine Angelegenheit, die
nur infolge ihrer Gleichgültigkeit nicht fraglich ist? So
geschieht es, daß der Leser, je mehr es gegen Ende geht,
desto stärker zu jenem anfänglichen Sommer sich zu-
rückwünscht und schließlich, statt dem Helden auf den
Selbstmordfelsen zu folgen, glücklich zu jenem Sommer
zurückkehrt und für immer sich dort festhalten möchte.
[ ]
Eine entschlafene Zeitschri
Die Zeitschri „Hyperion“ hat ihre Arbeit halb ge-
zwungen, halb freiwillig beendet und ihre zwölf wie
Steinplatten großen, weißen Hee sollen jetzt abge-
schlossen sein. Unmittelbar erinnern an sie nur noch die
Hyperionalmanache und , um die sich das Pu-
blikum wie um die unterhaltenden
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