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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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schon so lange nicht gesehn hat. Sie arbeitet
     in einem technischen Bureau in Pilsen, den ganzen Tag,
    hat sehr viel zu tun, aber es macht ihr Freude, sie ist sehr
    zufrieden mit ihrem Leben. Im Bureau heißt sie: unser
    Nesthäkchen, unsere kleine Schwalbe. Sie ist dort unter
    lauter Männern, die jüngste. O es ist lustig im Bureau!
     Man verwechselt die Hüte in der Garderobe, nagelt die
    Zehnuhrkipfel an oder klebt einem den Federstiel mit
    Gummiarabicum an die Schreibmappe. Wir selbst haben
    [  ]
    Gelegenheit an einem solchen „tadellosen“ Witz mitzu-
    wirken. Sie schreibt nämlich eine Karte an ihre Bureau-
    kollegen, in der es heißt: „Das Vorausgesagte ist leider
    eingetroffen. Ich bin in einen falschen Zug eingestiegen
    und befinde mich jetzt in Zürich. Herzliche Grüße.“ 
    Wir sollen diese Karte in Zürich aufgeben. Sie erwartet
    aber von uns als „Ehrenmännern“, daß wir nichts dazu-
    schreiben. Im Bureau wird man natürlich Sorge haben,
    telegraphieren und Gott weiß, was noch. – Sie ist Wag-
    nerianerin, fehlt bei keiner Wagnervorstellung, „diese 
    Kurz neulich als Isolde“, auch den Briefwechsel Wag-
    ners mit der Wesendonck liest sie eben, sie nimmt ihn
    sogar nach Innsbruck mit, ein Herr, natürlich jener, der
    ihr die Klavierauszüge vorspielt, hat ihr das Buch ge-
    borgt. Sie selbst hat leider wenig Talent zum Klavier- 
    spiel, wir wissen es aber schon, seitdem sie uns einige
    Leitmotive vorgesummt hat. – Sie sammelt Chokoladen-
    papier, aus dem sie eine große Staniolkugel macht, die
    sie auch mit hat. Diese Kugel ist für eine Freundin be-
    stimmt, weiterer Zweck unbekannt. Sie sammelt aber 
    auch Cigarrenbinden, diese ganz bestimmt für ein Ta-
    blett. – Der erste bayerische Kondukteur bringt sie dar-
    auf, ihre sehr widerspruchsvollen und dunklen Ansich-
    ten einer Offizierstochter über das österreichische Mili-
    tär und Militär überhaupt kurz und mit großer Entschie- 
    denheit zu äußern. Sie hält nämlich nicht nur das öster-
    reichische Militär für schlapp, sondern auch das deut-
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    sche und jedes Militär überhaupt. Aber läu sie nicht
    im Bureau zum Fenster, wenn Militärmusik vorüber-
    kommt? Eben nicht, denn das ist kein Militär. Ja, ihre
    jüngere Schwester, die ist anders. Die tanzt fleißig im
     Innsbrucker Offizierskasino. Also Uniformen imponie-
    ren ihr gar nicht und Offiziere sind für sie Lu. Offen-
    bar ist daran zum Teil jener Herr schuld, der ihr die
    Klavierauszüge borgt, zum Teil aber unser Hin- und
    Herspazieren auf dem Perron des Further Bahnhofs,
     denn sie fühlt sich nach der Fahrt im Gehn so frisch und
    streicht mit den Handflächen ihre Hüen. Richard ver-
    teidigt das Militär, aber ganz im Ernst. – Ihre Lieblings-
    ausdrücke: tadellos – mit Null Komma fünf Beschleuni-
    gung – herausfeuern – prompt – schlapp.
     Richard: Dora L. hat runde Wangen mit viel blon-
    dem Flaum; sie sind aber so blutleer, daß man sehr lange
    die Hände in sie drücken müßte, ehe sich eine Röthung
    zeigte. Das Mieder ist schlecht, über seinem Rande auf
    der Brust zerknittert sich die Bluse; davon muß man
     absehn.
    Froh bin ich, daß ich ihr gegenüber und nicht neben
    ihr sitze, ich kann nämlich mit einem, der neben mir
    sitzt, nicht reden. Samuel z. B. setzt sich wieder mit Vor-
    liebe neben mich; er sitzt auch gern neben Dora. Ich
     dagegen fühle mich ausgehorcht, wenn sich jemand ne-
    ben mich setzt. Schließlich hat man ja wirklich gegen
    einen solchen Menschen von vornherein kein Auge in
    [  ]
    Bereitscha, man muß sie erst zu ihm hinüberdrehen.
    Allerdings bin ich infolge meines Gegenübersitzens von
    der Unterhaltung Doras und Samuels, besonders wenn
    der Zug fährt, zeitweilig ausgeschlossen; alle Vorteile
    kann man nicht haben. Dafür sah ich sie aber schon, 
    wenn auch nur Augenblicke lang, stumm neben einan-
    dersitzen; natürlich ohne meine Schuld.
    Ich bewundere sie; sie ist so musikalisch. Samuel aller-
    dings scheint ironisch zu lächeln, als sie ihm etwas leise
    vorsingt. Vielleicht war es nicht ganz korrekt, aber im- 
    merhin, verdient es nicht Bewunderung, daß sich ein in
    einer großen Stadt alleinstehendes Mädchen so herzlich
    für Musik interessiert? Sie hat sogar in ihr Zimmer, das
    doch nur gemietet ist, ein gemietetes Klavier schaffen
    lassen. Man muß sich nur vorstellen: eine so umständli-

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