Drucke zu Lebzeiten
jene Wälder, er verschwindet, wir sehen die Wälder
an, nicht ihn. Hinter Häusern, Gott weiß wo, kommt er
in gleicher Höhe wie früher hervor, jagt gegen uns zu;
steigt er, dann sieht man die unteren Flächen des Biplans
dunkel sich neigen, sinkt er, dann glänzen die oberen
Flächen in der Sonne. Er kommt um den Signalmast
herum und wendet, gleichgültig gegen den Lärm der
Begrüßung, geradeaus dorthin, von wo er gekommen
ist, um nur schnell wieder klein und einsam zu werden.
Er führt fünf solche Runden aus, fliegt Km. in ' "
und gewinnt damit den großen Preis von Brescia,
L. .. Es ist eine vollkommene Leistung, aber voll-
kommene Leistungen können nicht gewürdigt werden,
vollkommener Leistungen hält sich am Ende jeder für
[ ]
fähig, zu vollkommenen Leistungen scheint kein Mut
nötig. Und während Curtiss allein dort über den Wäl-
dern arbeitet, während seine allen bekannte Frau um ihn
sich sorgt, hat die Menge fast an ihn vergessen. Überall
wird nur darüber geklagt, daß Calderara nicht fliegen
wird (sein Apparat ist zerbrochen), daß Rougier schon
zwei Tage lang an seinem Voisinflieger herumhantiert,
ohne ihn loszulassen, daß Zodiac, der italienische Lenk-
ballon, noch immer nicht gekommen ist. Über Caldera-
ras Unglück laufen so rühmliche Gerüchte um, daß man
glauben will, die Liebe der Nation sollte ihn sicherer in
die Lu heben, als sein Wrightflieger.
Noch hat Curtiss seinen Flug nicht beendet, und
schon fangen wie vor Begeisterung in drei Hangars die
Motors zu arbeiten an. Wind und Staub schlägt aus ent-
gegengesetzten Richtungen zusammen. Zwei Augen
genügen nicht. Man dreht sich auf seinem Sessel,
schwankt, hält sich an irgendjemandem fest, bittet um
Verzeihung, irgend jemand schwankt, reißt einen mit,
man bekommt Dank. Der frühe Abend des italienischen
Herbstes beginnt, auf dem Felde ist nicht mehr alles
deutlich zu sehen.
Gerade als Curtiss nach seinem Siegesflug vorüber-
kommt, ohne herzuschauen ein bißchen lächelnd die
Mütze abnimmt, fängt Blériot einen kleinen Kreisflug
an, den ihm alle schon vorher zutrauen! Man weiß nicht,
ob man Curtiss applaudiert oder Blériot oder schon
[ ]
Rougier, dessen großer schwerer Apparat sich jetzt in
die Lu wir. Rougier sitzt an seinen Hebeln wie ein
Herr an einem Schreibtisch, zu dem man hinter seinem
Rücken auf einer kleinen Leiter kommen kann. Er steigt
in kleinen Runden, überfliegt Blériot, macht ihn zum
Zuschauer und hört nicht auf zu steigen.
Wenn wir noch einen Wagen bekommen wollen, ist es
höchste Zeit wegzugehen; viele Leute drängen schon an
uns vorüber. Man weiß ja, dieser Flug ist nur ein Experi-
ment, da es schon gegen Uhr geht, wird er nicht mehr
offiziell registriert. In dem Vorhof des Aerodroms ste-
hen die Chauffeure und Diener auf ihren Sitzen und
zeigen auf Rougier; vor dem Aerodrom stehen die Kut-
scher auf den verstreuten vielen Wagen und zeigen auf
Rougier; drei Züge voll bis zum letzten Puffer rühren
sich nicht wegen Rougiers. Wir bekommen glücklich
einen Wagen, der Kutscher hockt sich vor uns nieder
(einen Kutschbock gibt es nicht), und endlich wieder
selbständige Existenzen geworden fahren wir los. Max
macht die sehr richtige Bemerkung, daß man etwas ähn-
liches wie hier auch in Prag veranstalten könnte und
sollte. Es müßte ja kein Wettfliegen sein, meint er, trotz-
dem auch das sich lohnen würde, aber einen Aviatiker
einladen, das wäre doch sicher eine Leichtigkeit und kein
Beteiligter würde es zu bereuen haben. Die Sache wäre ja
so einfach; jetzt fliegt Wright in Berlin, nächstens wird
Blériot in Wien fliegen, Latham in Berlin. Man müßte
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also die Leute nur zu dem kleinen Umweg überreden.
Wir zwei andern antworten nichts, da wir erstens müde
sind und zweitens auch sonst nichts einzuwenden hät-
ten. Der Weg dreht sich und Rougier erscheint so hoch,
daß man glaubt, seine Lage könne bald nur nach den
Sternen bestimmt werden, die sich gleich auf dem Him-
mel zeigen werden, der sich schon dunkel verfärbt. Wir
hören nicht auf, uns umzudrehen; gerade steigt noch
Rougier, mit uns aber geht es endgültig tiefer in die
Campagna.
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Ein Roman der Jugend
Felix Sternheim: Die Geschichte des jungen Oswald. Hyperionverlag
Hans
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