Drucke zu Lebzeiten
fast Dunkelheit; kleine Motorboote, die Karl
jetzt, wenn er Zeit gehabt hätte, genau hätte ansehen
können, rauschten nach den Zuckungen der Hände eines
am Steuer aufrecht stehenden Mannes schnurgerade da-
hin; eigentümliche Schwimmkörper tauchten hie und da
selbständig aus dem ruhelosen Wasser, wurden gleich
wieder überschwemmt und versanken vor dem erstaun-
ten Blick; Boote der Ozeandampfer wurden von heiß
[ ]
arbeitenden Matrosen vorwärtsgerudert und waren voll
von Passagieren, die darin, so wie man sie hineinge-
zwängt hatte, still und erwartungsvoll saßen, wenn es
auch manche nicht unterlassen konnten, die Köpfe nach
den wechselnden Szenerien zu drehen. Eine Bewegung
ohne Ende, eine Unruhe, übertragen von dem unruhigen
Element auf die hilflosen Menschen und ihre Werke!
Aber alles mahnte zur Eile, zur Deutlichkeit, zu ganz
genauer Darstellung; aber was tat der Heizer? Er redete
sich allerdings in Schweiß, die Papiere auf dem Fenster
konnte er längst mit seinen zitternden Händen nicht
mehr halten; aus allen Himmelsrichtungen strömten ihm
Klagen über Schubal zu, von denen seiner Meinung nach
jede einzelne genügt hätte, diesen Schubal vollständig zu
begraben, aber was er dem Kapitän vorzeigen konnte,
war nur ein trauriges Durcheinanderstrudeln aller insge-
samt. Längst schon pfiff der Herr mit dem Bambus-
stöckchen schwach zur Decke hinauf, die Herren von
der Hafenbehörde hielten schon den Offizier an ihrem
Tisch und machten keine Miene, ihn je wieder loszulas-
sen, der Oberkassier wurde sichtlich nur durch die Ruhe
des Kapitäns vor dem Dreinfahren zurückgehalten, der
Diener erwartete in Habtachtstellung jeden Augenblick
einen auf den Heizer bezüglichen Befehl seines Kapi-
täns.
Da konnte Karl nicht mehr untätig bleiben. Er ging
also langsam zu der Gruppe hin und überlegte im Gehen
[ ]
nur desto schneller, wie er die Sache möglichst geschickt
angreifen könnte. Es war wirklich höchste Zeit, noch ein
kleines Weilchen nur, und sie konnten ganz gut beide
aus dem Bureau fliegen. Der Kapitän mochte ja ein guter
Mann sein und überdies gerade jetzt, wie es Karl schien,
irgendeinen besonderen Grund haben, sich als gerechter
Vorgesetzter zu zeigen, aber schließlich war er kein In-
strument, das man in Grund und Boden spielen konnte –
und gerade so behandelte ihn der Heizer, allerdings aus
seinem grenzenlos empörten Innern heraus.
Karl sagte also zum Heizer: „Sie müssen das einfacher
erzählen, klarer, der Herr Kapitän kann es nicht würdi-
gen, so wie Sie es ihm erzählen. Kennt er denn alle Ma-
schinisten und Lauurschen beim Namen oder gar
beim Taufnamen, daß er, wenn Sie nur einen solchen
Namen aussprechen, gleich wissen kann, um wen es sich
handelt? Ordnen Sie doch Ihre Beschwerden, sagen Sie
die wichtigste zuerst und absteigend die anderen, viel-
leicht wird es dann überhaupt nicht mehr nötig sein, die
meisten auch nur zu erwähnen. Mir haben Sie es doch
immer so klar dargestellt!“ Wenn man in Amerika
Koffer stehlen kann, kann man auch hie und da lügen,
dachte er zur Entschuldigung.
Wenn es aber nur geholfen hätte! Ob es nicht auch
schon zu spät war? Der Heizer unterbrach sich zwar
sofort, als er die bekannte Stimme hörte, aber mit seinen
Augen, die ganz von Tränen der beleidigten Mannes-
[ ]
ehre, der schrecklichen Erinnerungen, der äußersten ge-
genwärtigen Not verdeckt waren, konnte er Karl schon
nicht einmal gut mehr erkennen. Wie sollte er auch jetzt
– Karl sah das schweigend vor dem jetzt Schweigenden
wohl ein – wie sollte er auch jetzt plötzlich seine Rede-
weise ändern, da es ihm doch schien, als hätte er alles,
was zu sagen war, ohne die geringste Anerkennung
schon vorgebracht und als habe er andererseits noch gar
nichts gesagt und könne doch den Herren jetzt nicht
zumuten, noch alles anzuhören. Und in einem solchen
Zeitpunkt kommt noch Karl, sein einziger Anhänger,
daher, will ihm gute Lehren geben, zeigt ihm aber statt
dessen, daß alles, alles verloren ist.
„Wäre ich früher gekommen, statt aus dem Fenster zu
schauen“, sagte sich Karl, senkte vor dem Heizer das
Gesicht und schlug die Hände an die Hosennaht, zum
Zeichen des Endes jeder Hoffnung.
Aber der Heizer mißverstand das, witterte wohl in
Karl irgendwelche geheime Vorwürfe gegen sich, und
Weitere Kostenlose Bücher