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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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das Wort, das die Sache auch wirklich bezeich-
    net – einfach beiseitegescha worden, wie man eine
    Katze vor die Tür wir, wenn sie ärgert. Ich will durch-
    aus nicht beschönigen, was mein Neffe gemacht hat, daß
    er so gestra wurde, aber sein Verschulden ist ein sol-
     ches, daß sein einfaches Nennen schon genug Entschul-
    digung enthält.“
    „Das läßt sich hören“, dachte Karl, „aber ich will
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    nicht, daß er es allen erzählt. Übrigens kann er es ja auch
    nicht wissen. Woher denn?“
    „Er wurde nämlich“, fuhr der Onkel fort und stützte
    sich mit kleinen Neigungen auf das vor ihm eingestemm-
    te Bambusstöckchen, wodurch es ihm tatsächlich gelang, 
    der Sache die unnötige Feierlichkeit zu nehmen, die sie
    sonst unbedingt gehabt hätte, „er wurde nämlich von
    einem Dienstmädchen, Johanna Brummer, einer etwa
    jährigen Person, verführt. Ich will mit dem Worte
    ,verführt‘ meinen Neffen durchaus nicht kränken, aber 
    es ist doch schwer, ein anderes, gleich passendes Wort zu
    finden.“
    Karl, der schon ziemlich nahe zum Onkel getreten
    war, drehte sich hier um, um den Eindruck der Erzäh-
    lung von den Gesichtern der Anwesenden abzulesen. 
    Keiner lachte, alle hörten geduldig und ernstha zu.
    Schließlich lacht man auch nicht über den Neffen eines
    Senators bei der ersten Gelegenheit, die sich darbietet.
    Eher hätte man schon sagen können, daß der Heizer,
    wenn auch nur ganz wenig, Karl anlächelte, was aber 
    erstens als neues Lebenszeichen erfreulich und zweitens
    entschuldbar war, da ja Karl in der Kabine aus dieser
    Sache, die jetzt so publik wurde, ein besonderes Ge-
    heimnis hatte machen wollen.
    „Nun hat diese Brummer“, setzte der Onkel fort, 
    „von meinem Neffen ein Kind bekommen, einen gesun-
    den Jungen, welcher in der Taufe den Namen Jakob
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    erhielt, zweifellos in Gedanken an meine Wenigkeit,
    welche, selbst in den sicher nur ganz nebensächlichen
    Erwähnungen meines Neffen, auf das Mädchen einen
    großen Eindruck gemacht haben muß. Glücklicherwei-
     se, sage ich. Denn da die Eltern zur Vermeidung der
    Alimentenzahlung oder sonstigen bis an sie selbst heran-
    reichenden Skandales – ich kenne, wie ich betonen muß,
    weder die dortigen Gesetze noch die sonstigen Verhält-
    nisse der Eltern – da sie also zur Vermeidung der Ali-
     mentenzahlung und des Skandales ihren Sohn, meinen
    lieben Neffen, nach Amerika haben transportieren las-
    sen, mit unverantwortlich ungenügender Ausrüstung,
    wie man sieht, so wäre der Junge, ohne die gerade noch
    in Amerika lebendigen Zeichen und Wunder, auf sich
     allein angewiesen, wohl schon gleich in einem Gäßchen
    im Hafen von New York verkommen, wenn nicht jenes
    Dienstmädchen in einem an mich gerichteten Brief, der
    nach langen Irrfahrten vorgestern in meinen Besitz kam,
    mir die ganze Geschichte samt Personenbeschreibung
     meines Neffen und vernünigerweise auch Namensnen-
    nung des Schiffes mitgeteilt hätte. Wenn ich es darauf an-
    gelegt hätte, Sie, meine Herren, zu unterhalten, könnte
    ich wohl einige Stellen jenes Briefes“ – er zog zwei riesi-
    ge, engbeschriebene Brieogen aus der Tasche und
     schwenkte sie – „hier vorlesen. Er würde sicher Wir-
    kung machen, da er mit einer etwas einfachen, wenn
    auch immer gutgemeinten Schlauheit und mit viel Liebe
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    zu dem Vater des Kindes geschrieben ist. Aber ich will
    weder Sie mehr unterhalten, als es zur Aulärung nötig
    ist, noch vielleicht gar zum Empfang möglicherweise
    noch bestehende Gefühle meines Neffen verletzen, der
    den Brief, wenn er mag, in der Stille seines ihn schon 
    erwartenden Zimmers zur Belehrung lesen kann.“
    Karl hatte aber keine Gefühle für jenes Mädchen. Im
    Gedränge einer immer mehr zurücktretenden Vergan-
    genheit saß sie in ihrer Küche neben dem Küchen-
    schrank, auf dessen Platte sie ihren Ellbogen stützte. Sie 
    sah ihn an, wenn er hin und wieder in die Küche kam,
    um ein Glas zum Wassertrinken für seinen Vater zu ho-
    len oder einen Aurag seiner Mutter auszurichten.
    Manchmal schrieb sie in der vertrackten Stellung seitlich
    vom Küchenschrank einen Brief und holte sich die Ein- 
    gebungen von Karls Gesicht. Manchmal hielt sie die Au-
    gen mit der Hand verdeckt, dann drang keine Anrede zu
    ihr. Manchmal kniete sie in ihrem engen Zimmerchen
    neben der Küche und betete zu einem

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