Drucke zu Lebzeiten
das Wort, das die Sache auch wirklich bezeich-
net – einfach beiseitegescha worden, wie man eine
Katze vor die Tür wir, wenn sie ärgert. Ich will durch-
aus nicht beschönigen, was mein Neffe gemacht hat, daß
er so gestra wurde, aber sein Verschulden ist ein sol-
ches, daß sein einfaches Nennen schon genug Entschul-
digung enthält.“
„Das läßt sich hören“, dachte Karl, „aber ich will
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nicht, daß er es allen erzählt. Übrigens kann er es ja auch
nicht wissen. Woher denn?“
„Er wurde nämlich“, fuhr der Onkel fort und stützte
sich mit kleinen Neigungen auf das vor ihm eingestemm-
te Bambusstöckchen, wodurch es ihm tatsächlich gelang,
der Sache die unnötige Feierlichkeit zu nehmen, die sie
sonst unbedingt gehabt hätte, „er wurde nämlich von
einem Dienstmädchen, Johanna Brummer, einer etwa
jährigen Person, verführt. Ich will mit dem Worte
,verführt‘ meinen Neffen durchaus nicht kränken, aber
es ist doch schwer, ein anderes, gleich passendes Wort zu
finden.“
Karl, der schon ziemlich nahe zum Onkel getreten
war, drehte sich hier um, um den Eindruck der Erzäh-
lung von den Gesichtern der Anwesenden abzulesen.
Keiner lachte, alle hörten geduldig und ernstha zu.
Schließlich lacht man auch nicht über den Neffen eines
Senators bei der ersten Gelegenheit, die sich darbietet.
Eher hätte man schon sagen können, daß der Heizer,
wenn auch nur ganz wenig, Karl anlächelte, was aber
erstens als neues Lebenszeichen erfreulich und zweitens
entschuldbar war, da ja Karl in der Kabine aus dieser
Sache, die jetzt so publik wurde, ein besonderes Ge-
heimnis hatte machen wollen.
„Nun hat diese Brummer“, setzte der Onkel fort,
„von meinem Neffen ein Kind bekommen, einen gesun-
den Jungen, welcher in der Taufe den Namen Jakob
[ ]
erhielt, zweifellos in Gedanken an meine Wenigkeit,
welche, selbst in den sicher nur ganz nebensächlichen
Erwähnungen meines Neffen, auf das Mädchen einen
großen Eindruck gemacht haben muß. Glücklicherwei-
se, sage ich. Denn da die Eltern zur Vermeidung der
Alimentenzahlung oder sonstigen bis an sie selbst heran-
reichenden Skandales – ich kenne, wie ich betonen muß,
weder die dortigen Gesetze noch die sonstigen Verhält-
nisse der Eltern – da sie also zur Vermeidung der Ali-
mentenzahlung und des Skandales ihren Sohn, meinen
lieben Neffen, nach Amerika haben transportieren las-
sen, mit unverantwortlich ungenügender Ausrüstung,
wie man sieht, so wäre der Junge, ohne die gerade noch
in Amerika lebendigen Zeichen und Wunder, auf sich
allein angewiesen, wohl schon gleich in einem Gäßchen
im Hafen von New York verkommen, wenn nicht jenes
Dienstmädchen in einem an mich gerichteten Brief, der
nach langen Irrfahrten vorgestern in meinen Besitz kam,
mir die ganze Geschichte samt Personenbeschreibung
meines Neffen und vernünigerweise auch Namensnen-
nung des Schiffes mitgeteilt hätte. Wenn ich es darauf an-
gelegt hätte, Sie, meine Herren, zu unterhalten, könnte
ich wohl einige Stellen jenes Briefes“ – er zog zwei riesi-
ge, engbeschriebene Brieogen aus der Tasche und
schwenkte sie – „hier vorlesen. Er würde sicher Wir-
kung machen, da er mit einer etwas einfachen, wenn
auch immer gutgemeinten Schlauheit und mit viel Liebe
[ ]
zu dem Vater des Kindes geschrieben ist. Aber ich will
weder Sie mehr unterhalten, als es zur Aulärung nötig
ist, noch vielleicht gar zum Empfang möglicherweise
noch bestehende Gefühle meines Neffen verletzen, der
den Brief, wenn er mag, in der Stille seines ihn schon
erwartenden Zimmers zur Belehrung lesen kann.“
Karl hatte aber keine Gefühle für jenes Mädchen. Im
Gedränge einer immer mehr zurücktretenden Vergan-
genheit saß sie in ihrer Küche neben dem Küchen-
schrank, auf dessen Platte sie ihren Ellbogen stützte. Sie
sah ihn an, wenn er hin und wieder in die Küche kam,
um ein Glas zum Wassertrinken für seinen Vater zu ho-
len oder einen Aurag seiner Mutter auszurichten.
Manchmal schrieb sie in der vertrackten Stellung seitlich
vom Küchenschrank einen Brief und holte sich die Ein-
gebungen von Karls Gesicht. Manchmal hielt sie die Au-
gen mit der Hand verdeckt, dann drang keine Anrede zu
ihr. Manchmal kniete sie in ihrem engen Zimmerchen
neben der Küche und betete zu einem
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