Drucke zu Lebzeiten
hölzernen Kreuz;
Karl beobachtete sie dann nur mit Scheu im Vorüber-
gehen durch die Spalte der ein wenig geöffneten Tür.
Manchmal jagte sie in der Küche herum und fuhr, wie
eine Hexe lachend, zurück, wenn Karl ihr in den Weg
kam. Manchmal schloß sie die Küchentüre, wenn Karl
eingetreten war und behielt die Klinke so lange in der
Hand, bis er wegzugehn verlangte. Manchmal holte sie
Sachen, die er gar nicht haben wollte, und drückte sie
[ ]
ihm schweigend in die Hände. Einmal aber sagte sie
„Karl“ und führte ihn, der noch über die unerwartete
Ansprache staunte, unter Grimassen seufzend in ihr
Zimmerchen, das sie zusperrte. Würgend umarmte sie
seinen Hals und während sie ihn bat, sie zu entkleiden,
entkleidete sie in Wirklichkeit ihn und legte ihn in ihr
Bett, als wolle sie ihn von jetzt niemandem mehr lassen
und ihn streicheln und pflegen bis zum Ende der Welt.
„Karl, o du mein Karl!“ rief sie, als sähe sie ihn und
bestätige sich seinen Besitz, während er nicht das Ge-
ringste sah und sich unbehaglich in dem vielen warmen
Bettzeug fühlte, das sie eigens für ihn aufgehäu zu ha-
ben schien. Dann legte sie sich auch zu ihm und wollte
irgendwelche Geheimnisse von ihm erfahren, aber er
konnte ihr keine sagen und sie ärgerte sich im Scherz
oder Ernst, schüttelte ihn, horchte sein Herz ab, bot ihre
Brust zum gleichen Abhorchen hin, wozu sie Karl aber
nicht bringen konnte, drückte ihren nackten Bauch an
seinen Leib, suchte mit der Hand, so widerlich, daß Karl
Kopf und Hals aus den Kissen herausschüttelte, zwi-
schen seinen Beinen, stieß dann den Bauch einige Male
gegen ihn, – ihm war, als sei sie ein Teil seiner selbst und
vielleicht aus diesem Grunde hatte ihn eine entsetzliche
Hilfsbedürigkeit ergriffen. Weinend kam er endlich
nach vielen Wiedersehenswünschen ihrerseits in sein
Bett. Das war alles gewesen und doch verstand es der
Onkel, daraus eine große Geschichte zu machen. Und
[ ]
die Köchin hatte also auch an ihn gedacht und den On-
kel von seiner Ankun verständigt. Das war schön von
ihr gehandelt und er würde es ihr wohl noch einmal
vergelten.
„Und jetzt“, rief der Senator, „will ich von dir offen
hören, ob ich dein Onkel bin oder nicht.“
„Du bist mein Onkel“, sagte Karl und küßte ihm die
Hand und wurde dafür auf die Stirne geküßt. „Ich bin
sehr froh, daß ich dich getroffen habe, aber du irrst,
wenn du glaubst, daß meine Eltern nur Schlechtes von
dir reden. Aber auch abgesehen davon sind in deiner
Rede einige Fehler enthalten gewesen, das heißt, ich
meine, es hat sich in Wirklichkeit nicht alles so zugetra-
gen. Du kannst aber auch wirklich von hier aus die Din-
ge nicht so gut beurteilen, und ich glaube außerdem, daß
es keinen besonderen Schaden bringen wird, wenn die
Herren in Einzelheiten einer Sache, an der ihnen doch
wirklich nicht viel liegen kann, ein wenig unrichtig in-
formiert worden sind.“
„Wohl gesprochen“, sagte der Senator, führte Karl vor
den sichtlich teilnehmenden Kapitän und fragte: „Habe
ich nicht einen prächtigen Neffen?“
„Ich bin glücklich“, sagte der Kapitän mit einer Ver-
beugung, wie sie nur militärisch geschulte Leute zustan-
debringen, „Ihren Neffen, Herr Senator, kennen gelernt
zu haben. Es ist eine besondere Ehre für mein Schiff, daß
es den Ort eines solchen Zusammentreffens abgeben
[ ]
konnte. Aber die Fahrt im Zwischendeck war wohl sehr
arg, ja, wer kann denn wissen, wer da mitgeführt wird.
Nun, wir tun alles Mögliche, den Leuten im Zwischen-
deck die Fahrt möglichst zu erleichtern, viel mehr zum
Beispiel, als die amerikanischen Linien, aber eine solche
Fahrt zu einem Vergnügen zu machen, ist uns allerdings
noch immer nicht gelungen.“
„Es hat mir nicht geschadet“, sagte Karl.
„Es hat ihm nicht geschadet!“ wiederholte laut la-
chend der Senator.
„Nur meinen Koffer fürchte ich verloren zu – “ und
damit erinnerte er sich an alles, was geschehen war und
was noch zu tun übrigblieb, sah sich um und erblickte
alle Anwesenden stumm vor Achtung und Staunen auf
ihren früheren Plätzen, die Augen auf ihn gerichtet.
Nur den Hafenbeamten sah man, soweit ihre strengen,
selbstzufriedenen Gesichter einen Einblick gestatteten,
das Bedauern an, zu so ungelegener Zeit gekommen
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