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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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so ergriff? Ihm war, als zeige sich ihm der 
    Weg zu der ersehnten unbekannten Nahrung. Er war
    entschlossen, bis zur Schwester vorzudringen, sie am
    [  ]
    Rock zu zupfen und ihr dadurch anzudeuten, sie möge
    doch mit ihrer Violine in sein Zimmer kommen, denn
    niemand lohnte hier das Spiel so, wie er es lohnen wollte.
    Er wollte sie nicht mehr aus seinem Zimmer lassen, we-
     nigstens nicht, solange er lebte; seine Schreckgestalt soll-
    te ihm zum erstenmal nützlich werden; an allen Türen
    seines Zimmers wollte er gleichzeitig sein und den An-
    greifern entgegenfauchen; die Schwester aber sollte nicht
    gezwungen, sondern freiwillig bei ihm bleiben; sie sollte
     neben ihm auf dem Kanapee sitzen, das Ohr zu ihm
    herunterneigen, und er wollte ihr dann anvertrauen, daß
    er die feste Absicht gehabt habe, sie auf das Konservato-
    rium zu schicken, und daß er dies, wenn nicht das Un-
    glück dazwischen gekommen wäre, vergangene Weih-
     nachten – Weihnachten war doch wohl schon vorüber? –
    allen gesagt hätte, ohne sich um irgendwelche Widerre-
    den zu kümmern. Nach dieser Erklärung würde die
    Schwester in Tränen der Rührung ausbrechen, und Gre-
    gor würde sich bis zu ihrer Achsel erheben und ihren
     Hals küssen, den sie, seitdem sie ins Geschä ging, frei
    ohne Band oder Kragen trug.
    „Herr Samsa!“ rief der mittlere Herr dem Vater zu
    und zeigte, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, mit dem
    Zeigefinger auf den langsam sich vorwärtsbewegenden
     Gregor. Die Violine verstummte, der mittlere Zimmer-
    herr lächelte erst einmal kopfschüttelnd seinen Freunden
    zu und sah dann wieder auf Gregor hin. Der Vater
    [  ]
    schien es für nötiger zu halten, statt Gregor zu vertrei-
    ben, vorerst die Zimmerherren zu beruhigen, trotzdem
    diese gar nicht aufgeregt waren und Gregor sie mehr als
    das Violinspiel zu unterhalten schien. Er eilte zu ihnen
    und suchte sie mit ausgebreiteten Armen in ihr Zimmer 
    zu drängen und gleichzeitig mit seinem Körper ihnen
    den Ausblick auf Gregor zu nehmen. Sie wurden nun
    tatsächlich ein wenig böse, man wußte nicht mehr, ob
    über das Benehmen des Vaters oder über die ihnen jetzt
    aufgehende Erkenntnis, ohne es zu wissen, einen sol- 
    chen Zimmernachbar wie Gregor besessen zu haben. Sie
    verlangten vom Vater Erklärungen, hoben ihrerseits die
    Arme, zupen unruhig an ihren Bärten und wichen nur
    langsam gegen ihr Zimmer zurück. Inzwischen hatte die
    Schwester die Verlorenheit, in die sie nach dem plötzlich 
    abgebrochenen Spiel verfallen war, überwunden, hatte
    sich, nachdem sie eine Zeit lang in den lässig hängenden
    Händen Violine und Bogen gehalten und weiter, als
    spiele sie noch, in die Noten gesehen hatte, mit einem
    Male aufgera, hatte das Instrument auf den Schoß der 
    Mutter gelegt, die in Atembeschwerden mit heig arbei-
    tenden Lungen noch auf ihrem Sessel saß, und war in das
    Nebenzimmer gelaufen, dem sich die Zimmerherren un-
    ter dem Drängen des Vaters schon schneller näherten.
    Man sah, wie unter den geübten Händen der Schwester 
    die Decken und Polster in den Betten in die Höhe flogen
    und sich ordneten. Noch ehe die Herren das Zimmer
    [  ]
    erreicht hatten, war sie mit dem Auetten fertig und
    schlüpe heraus. Der Vater schien wieder von seinem
    Eigensinn derartig ergriffen, daß er jeden Respekt ver-
    gaß, den er seinen Mietern immerhin schuldete. Er
     drängte nur und drängte, bis schon in der Tür des Zim-
    mers der mittlere der Herren donnernd mit dem Fuß
    aufstampe und dadurch den Vater zum Stehen brachte.
    „Ich erkläre hiermit“, sagte er, hob die Hand und suchte
    mit den Blicken auch die Mutter und die Schwester,
     „daß ich mit Rücksicht auf die in dieser Wohnung und
    Familie herrschenden widerlichen Verhältnisse“ – hiebei
    spie er kurz entschlossen auf den Boden – „mein Zim-
    mer augenblicklich kündige. Ich werde natürlich auch
    für die Tage, die ich hier gewohnt habe, nicht das Ge-
     ringste bezahlen, dagegen werde ich es mir noch überle-
    gen, ob ich nicht mit irgendwelchen – glauben Sie mir –
    sehr leicht zu begründenden Forderungen gegen Sie auf-
    treten werde.“ Er schwieg und sah gerade vor sich hin,
    als erwarte er etwas. Tatsächlich fielen sofort seine zwei
     Freunde mit den Worten ein: „Auch wir kündigen au-
    genblicklich.“ Darauf faßte er die Türklinke und

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