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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Befehle hier nichts halfen,
    er wollte hinüber und die zwei vertreiben. Da hörte er
    oben im Zeichner ein Geräusch. Er sah hinauf. Störte 
    also das eine Zahnrad doch? Aber es war etwas anderes.
    Langsam hob sich der Deckel des Zeichners und klappte
    dann vollständig auf. Die Zacken eines Zahnrades zeig-
    ten und hoben sich, bald erschien das ganze Rad, es war,
    als presse irgendeine große Macht den Zeichner zusam- 
    men, so daß für dieses Rad kein Platz mehr übrig blieb,
    das Rad drehte sich bis zum Rand des Zeichners, fiel
    [  ]
    hinunter, kollerte aufrecht ein Stück im Sand und blieb
    dann liegen. Aber schon stieg oben ein anderes auf, ihm
    folgten viele, große, kleine und kaum zu unterscheiden-
    de, mit allen geschah dasselbe, immer glaubte man, nun
     müsse der Zeichner jedenfalls schon entleert sein, da er-
    schien eine neue, besonders zahlreiche Gruppe, stieg auf,
    fiel hinunter, kollerte im Sand und legte sich. Über die-
    sem Vorgang vergaß der Verurteilte ganz den Befehl des
    Reisenden, die Zahnräder entzückten ihn völlig, er woll-
     te immer eines fassen, trieb gleichzeitig den Soldaten an,
    ihm zu helfen, zog aber erschreckt die Hand zurück,
    denn es folgte gleich ein anderes Rad, das ihn, wenig-
    stens im ersten Anrollen, erschreckte.
    Der Reisende dagegen war sehr beunruhigt; die Ma-
     schine ging offenbar in Trümmer; ihr ruhiger Gang war
    eine Täuschung; er hatte das Gefühl, als müsse er sich
    jetzt des Offiziers annehmen, da dieser nicht mehr für
    sich selbst sorgen konnte. Aber während der Fall der
    Zahnräder seine ganze Aufmerksamkeit beanspruchte,
     hatte er versäumt, die übrige Maschine zu beaufsichti-
    gen; als er jedoch jetzt, nachdem das letzte Zahnrad den
    Zeichner verlassen hatte, sich über die Egge beugte, hat-
    te er eine neue, noch ärgere Überraschung. Die Egge
    schrieb nicht, sie stach nur, und das Bett wälzte den
     Körper nicht, sondern hob ihn nur zitternd in die Na-
    deln hinein. Der Reisende wollte eingreifen, möglicher-
    weise das Ganze zum Stehen bringen, das war ja keine
    [  ]
    Folter, wie sie der Offizier erreichen wollte, das war
    unmittelbarer Mord. Er streckte die Hände aus. Da hob
    sich aber schon die Egge mit dem aufgespießten Körper
    zur Seite, wie sie es sonst erst in der zwölen Stunde tat.
    Das Blut floß in hundert Strömen, nicht mit Wasser ver- 
    mischt, auch die Wasserröhrchen hatten diesmal versagt.
    Und nun versagte noch das letzte, der Körper löste sich
    von den langen Nadeln nicht, strömte sein Blut aus, hing
    aber über der Grube ohne zu fallen. Die Egge wollte
    schon in ihre alte Lage zurückkehren, aber als merke sie 
    selbst, daß sie von ihrer Last noch nicht befreit sei, blieb
    sie doch über der Grube. „Hel doch!“ schrie der Rei-
    sende zum Soldaten und zum Verurteilten hinüber und
    faßte selbst die Füße des Offiziers. Er wollte sich hier
    gegen die Füße drücken, die zwei sollten auf der anderen 
    Seite den Kopf des Offiziers fassen, und so sollte er
    langsam von den Nadeln gehoben werden. Aber nun
    konnten sich die zwei nicht entschließen zu kommen;
    der Verurteilte drehte sich geradezu um; der Reisende
    mußte zu ihnen hinübergehen und sie mit Gewalt zu 
    dem Kopf des Offiziers drängen. Hiebei sah er fast ge-
    gen Willen das Gesicht der Leiche. Es war, wie es im
    Leben gewesen war; kein Zeichen der versprochenen
    Erlösung war zu entdecken; was alle anderen in der Ma-
    schine gefunden hatten, der Offizier fand es nicht; die 
    Lippen waren fest zusammengedrückt, die Augen waren
    offen, hatten den Ausdruck des Lebens, der Blick war
    [  ]
    ruhig und überzeugt, durch die Stirn ging die Spitze des
    großen eisernen Stachels.
    *
    *
    *
     Als der Reisende, mit dem Soldaten und dem Verurteil-
    ten hinter sich, zu den ersten Häusern der Kolonie kam,
    zeigte der Soldat auf eines und sagte: „Hier ist das
    Teehaus.“
    Im Erdgeschoß eines Hauses war ein tiefer, niedriger,
     höhlenartiger, an den Wänden und an der Decke verräu-
    cherter Raum. Gegen die Straße zu war er in seiner gan-
    zen Breite offen. Trotzdem sich das Teehaus von den
    übrigen Häusern der Kolonie, die bis auf die Palastbau-
    ten der Kommandatur alle sehr verkommen waren, we-
     nig unterschied, übte es auf den Reisenden doch den
    Eindruck einer historischen Erinnerung aus und er fühl-
    te die Macht der früheren Zeiten. Er

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