Drucke zu Lebzeiten
Ungeduld einige kleine Rißwunden auf dem
Rücken.
Von jetzt ab kümmerte sich aber der Offizier kaum
mehr um ihn. Er ging auf den Reisenden zu, zog wieder
die kleine Ledermappe hervor, blätterte in ihr, fand
schließlich das Blatt, das er suchte, und zeigte es dem
[ ]
Reisenden. „Lesen Sie“, sagte er. „Ich kann nicht“, sagte
der Reisende, „ich sagte schon, ich kann diese Blätter
nicht lesen.“ „Sehen Sie das Blatt doch genau an“, sagte
der Offizier und trat neben den Reisenden, um mit ihm
zu lesen. Als auch das nichts half, fuhr er mit dem klei-
nen Finger in großer Höhe, als dürfe das Blatt auf keinen
Fall berührt werden, über das Papier hin, um auf diese
Weise dem Reisenden das Lesen zu erleichtern. Der Rei-
sende gab sich auch Mühe, um wenigstens darin dem
Offizier gefällig sein zu können, aber es war ihm un-
möglich. Nun begann der Offizier die Aufschri zu
buchstabieren und dann las er sie noch einmal im Zu-
sammenhang. „ ,Sei gerecht!‘ – heißt es“, sagte er, „jetzt
können Sie es doch lesen.“ Der Reisende beugte sich so
tief über das Papier, daß der Offizier aus Angst vor einer
Berührung es weiter entfernte; nun sagte der Reisende
zwar nichts mehr, aber es war klar, daß er es noch immer
nicht hatte lesen können. „,Sei gerecht!‘ – heißt es“,
sagte der Offizier nochmals. „Mag sein“, sagte der Rei-
sende, „ich glaube es, daß es dort steht.“ „Nun gut“,
sagte der Offizier, wenigstens teilweise befriedigt, und
stieg mit dem Blatt auf die Leiter; er bettete das Blatt mit
großer Vorsicht im Zeichner und ordnete das Räderwerk
scheinbar gänzlich um; es war eine sehr mühselige Ar-
beit, es mußte sich auch um ganz kleine Räder handeln,
manchmal verschwand der Kopf des Offiziers völlig im
Zeichner, so genau mußte er das Räderwerk untersuchen.
[ ]
Der Reisende verfolgte von unten diese Arbeit unun-
terbrochen, der Hals wurde ihm steif, und die Augen
schmerzten ihn von dem mit Sonnenlicht überschütteten
Himmel. Der Soldat und der Verurteilte waren nur mit-
einander beschäigt. Das Hemd und die Hose des Ver-
urteilten, die schon in der Grube lagen, wurden vom
Soldaten mit der Bajonettspitze herausgezogen. Das
Hemd war entsetzlich schmutzig, und der Verurteilte
wusch es in dem Wasserkübel. Als er dann Hemd und
Hose anzog, mußte der Soldat wie der Verurteilte laut
lachen, denn die Kleidungsstücke waren doch hinten
entzweigeschnitten. Vielleicht glaubte der Verurteilte
verpflichtet zu sein, den Soldaten zu unterhalten, er
drehte sich in der zerschnittenen Kleidung im Kreise vor
dem Soldaten, der auf dem Boden hockte und lachend
auf seine Knie schlug. Immerhin bezwangen sie sich
noch mit Rücksicht auf die Anwesenheit der Herren.
Als der Offizier oben endlich fertiggeworden war,
überblickte er noch einmal lächelnd das Ganze in allen
seinen Teilen, schlug diesmal den Deckel des Zeichners
zu, der bisher offen gewesen war, stieg hinunter, sah in
die Grube und dann auf den Verurteilten, merkte befrie-
digt, daß dieser seine Kleidung herausgenommen hatte,
ging dann zu dem Wasserkübel, um die Hände zu wa-
schen, erkannte zu spät den widerlichen Schmutz, war
traurig darüber, daß er nun die Hände nicht waschen
konnte, tauchte sie schließlich – dieser Ersatz genügte
[ ]
ihm nicht, aber er mußte sich fügen – in den Sand, stand
dann auf und begann seinen Uniformrock aufzuknöp-
fen. Hiebei fielen ihm zunächst die zwei Damentaschen-
tücher, die er hinter den Kragen gezwängt hatte, in die
Hände. „Hier hast du deine Taschentücher“, sagte er
und warf sie dem Verurteilten zu. Und zum Reisenden
sagte er erklärend: „Geschenke der Damen.“
Trotz der offenbaren Eile, mit der er den Uniformrock
auszog und sich dann vollständig entkleidete, behandelte
er doch jedes Kleidungsstück sehr sorgfältig, über die
Silberschnüre an seinem Waffenrock strich er sogar ei-
gens mit den Fingern hin und schüttelte eine Troddel
zurecht. Wenig paßte es allerdings zu dieser Sorgfalt, daß
er, sobald er mit der Behandlung eines Stückes fertig
war, es dann sofort mit einem unwilligen Ruck in die
Grube warf. Das letzte, was ihm übrig blieb, war sein
kurzer Degen mit dem Tragriemen. Er zog den Degen
aus der Scheide, zerbrach ihn, faßte dann alles
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