Drucke zu Lebzeiten
Tagen. Wir spuckten
einander dann gegenseitig ins Gesicht; der Unterschied
war nur, daß ich mein Gesicht nachher reinleckte, sie
ihres nicht. Die Pfeife rauchte ich bald wie ein Alter;
drückte ich dann auch noch den Daumen in den Pfeifen-
kopf, jauchzte das ganze Zwischendeck; nur den Unter-
schied zwischen der leeren und der gestopen Pfeife
verstand ich lange nicht.
Die meiste Mühe machte mir die Schnapsflasche. Der
Geruch peinigte mich; ich zwang mich mit allen Kräf-
ten; aber es vergingen Wochen, ehe ich mich überwand.
Diese inneren Kämpfe nahmen die Leute merkwürdiger-
weise ernster als irgend etwas sonst an mir. Ich unter-
scheide die Leute auch in meiner Erinnerung nicht, aber
da war einer, der kam immer wieder, allein oder mit
Kameraden, bei Tag, bei Nacht, zu den verschiedensten
Stunden; stellte sich mit der Flasche vor mich hin und
gab mir Unterricht. Er begriff mich nicht, er wollte das
Rätsel meines Seins lösen. Er entkorkte langsam die Fla-
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sche und blickte mich dann an, um zu prüfen, ob ich
verstanden habe; ich gestehe, ich sah ihm immer mit
wilder, mit überstürzter Aufmerksamkeit zu; einen sol-
chen Menschenschüler findet kein Menschenlehrer auf
dem ganzen Erdenrund; nachdem die Flasche entkorkt
war, hob er sie zum Mund; ich mit meinen Blicken ihm
nach bis in die Gurgel; er nickt, zufrieden mit mir, und
setzt die Flasche an die Lippen; ich, entzückt von all-
mählicher Erkenntnis, kratze mich quietschend der Län-
ge und Breite nach, wo es sich tri; er freut sich, setzt
die Flasche an und macht einen Schluck; ich, ungeduldig
und verzweifelt, ihm nachzueifern, verunreinige mich in
meinem Käfig, was wieder ihm große Genugtuung
macht; und nun weit die Flasche von sich streckend und
im Schwung sie wieder hinaufführend, trinkt er sie,
übertrieben lehrha zurückgebeugt, mit einem Zuge
leer. Ich, ermattet von allzugroßem Verlangen, kann
nicht mehr folgen und hänge schwach am Gitter, wäh-
rend er den theoretischen Unterricht damit beendet, daß
er sich den Bauch streicht und grinst.
Nun erst beginnt die praktische Übung. Bin ich nicht
schon allzu erschöp durch das eoretische? Wohl, all-
zu erschöp. Das gehört zu meinem Schicksal. Trotz-
dem greife ich, so gut ich kann, nach der hingereichten
Flasche; entkorke sie zitternd; mit dem Gelingen stellen
sich allmählich neue Kräe ein; ich hebe die Flasche,
vom Original schon kaum zu unterscheiden; setze sie an
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und – und werfe sie mit Abscheu, mit Abscheu, trotz-
dem sie leer ist und nur noch der Geruch sie füllt, werfe
sie mit Abscheu auf den Boden. Zur Trauer meines Leh-
rers, zur größeren Trauer meiner selbst; weder ihn, noch
mich versöhne ich dadurch, daß ich auch nach dem Weg-
werfen der Flasche nicht vergesse, ausgezeichnet meinen
Bauch zu streichen und dabei zu grinsen.
Allzuo nur verlief so der Unterricht. Und zur Ehre
meines Lehrers: er war mir nicht böse; wohl hielt er mir
manchmal die brennende Pfeife ans Fell, bis es irgend-
wo, wo ich nur schwer hinreichte, zu glimmen anfing,
aber dann löschte er es selbst wieder mit seiner riesigen
guten Hand; er war mir nicht böse, er sah ein, daß wir
auf der gleichen Seite gegen die Affennatur kämpen
und daß ich den schwereren Teil hatte.
Was für ein Sieg dann allerdings für ihn wie für mich,
als ich eines Abends vor großem Zuschauerkreis – viel-
leicht war ein Fest, ein Grammophon spielte, ein Offi-
zier erging sich zwischen den Leuten – als ich an diesem
Abend, gerade unbeachtet, eine vor meinem Käfig verse-
hentlich stehen gelassene Schnapsflasche ergriff, unter
steigender Aufmerksamkeit der Gesellscha sie schulge-
recht entkorkte, an den Mund setzte und ohne Zögern,
ohne Mundverziehen, als Trinker von Fach, mit rund
gewälzten Augen, schwappender Kehle, wirklich und
wahrhaig leer trank; nicht mehr als Verzweifelter, son-
dern als Künstler die Flasche hinwarf; zwar vergaß den
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Bauch zu streichen; dafür aber, weil ich nicht anders
konnte, weil es mich drängte, weil mir die Sinne rausch-
ten, kurz und gut „Hallo!“ ausrief, in Menschenlaut
ausbrach, mit diesem Ruf in die Menschengemeinscha
sprang und ihr Echo: „Hört nur, er spricht!“ wie einen
Kuß auf meinem ganzen schweißtriefenden Körper
fühlte.
Ich
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