Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
Vom Netzwerk:
wiederhole: es verlockte mich nicht, die Menschen
    nachzuahmen; ich ahmte nach, weil ich einen Ausweg
    suchte, aus keinem anderen Grund. Auch war mit jenem 
    Sieg noch wenig getan. Die Stimme versagte mir sofort
    wieder; stellte sich erst nach Monaten ein; der Wider-
    wille gegen die Schnapsflasche kam sogar noch verstärk-
    ter. Aber meine Richtung allerdings war mir ein für alle-
    mal gegeben.
    
    Als ich in Hamburg dem ersten Dresseur übergeben
    wurde, erkannte ich bald die zwei Möglichkeiten, die
    mir offen standen: Zoologischer Garten oder Variete.
    Ich zögerte nicht. Ich sagte mir: setze alle Kra an, um
    ins Variete zu kommen; das ist der Ausweg; Zoologi- 
    scher Garten ist nur ein neuer Gitterkäfig; kommst du in
    ihn, bist du verloren.
    Und ich lernte, meine Herren. Ach, man lernt, wenn
    man muß; man lernt, wenn man einen Ausweg will; man
    lernt rücksichtslos. Man beaufsichtigt sich selbst mit der 
    Peitsche; man zerfleischt sich beim geringsten Wider-
    stand. Die Affennatur raste, sich überkugelnd, aus mir
    [  ]
    hinaus und weg, so daß mein erster Lehrer selbst davon
    fast äffisch wurde, bald den Unterricht aufgeben und in
    eine Heilanstalt gebracht werden mußte. Glücklicher-
    weise kam er wieder bald hervor.
     Aber ich verbrauchte viele Lehrer, ja sogar einige Leh-
    rer gleichzeitig. Als ich meiner Fähigkeiten schon siche-
    rer geworden war, die Öffentlichkeit meinen Fortschrit-
    ten folgte, meine Zukun zu leuchten begann, nahm ich
    selbst Lehrer auf, ließ sie in fünf aufeinanderfolgenden
     Zimmern niedersetzen und lernte bei allen zugleich, in-
    dem ich ununterbrochen aus einem Zimmer ins andere
    sprang.
    Diese Fortschritte! Dieses Eindringen der Wissens-
    strahlen von allen Seiten ins erwachende Hirn! Ich leug-
     ne nicht: es beglückte mich. Ich gestehe aber auch ein:
    ich überschätzte es nicht, schon damals nicht, wieviel
    weniger heute. Durch eine Anstrengung, die sich bisher
    auf der Erde nicht wiederholt hat, habe ich die Durch-
    schnittsbildung eines Europäers erreicht. Das wäre an
     sich vielleicht gar nichts, ist aber insofern doch etwas, als
    es mir aus dem Käfig half und mir diesen besonderen
    Ausweg, diesen Menschenausweg verschae. Es gibt ei-
    ne ausgezeichnete deutsche Redensart: sich in die Bü-
    sche schlagen; das habe ich getan, ich habe mich in die
     Büsche geschlagen. Ich hatte keinen anderen Weg, im-
    mer vorausgesetzt, daß nicht die Freiheit zu wählen war.
    Überblicke ich meine Entwicklung und ihr bisheriges
    [  ]
    Ziel, so klage ich weder, noch bin ich zufrieden. Die
    Hände in den Hosentaschen, die Weinflasche auf dem
    Tisch, liege ich halb, halb sitze ich im Schaukelstuhl und
    schaue aus dem Fenster. Kommt Besuch, empfange ich
    ihn, wie es sich gebührt. Mein Impresario sitzt im Vor- 
    zimmer; läute ich, kommt er und hört, was ich zu sagen
    habe. Am Abend ist fast immer Vorstellung, und ich
    habe wohl kaum mehr zu steigernde Erfolge. Komme
    ich spät nachts von Banketten, aus wissenschalichen
    Gesellschaen, aus gemütlichem Beisammensein nach 
    Hause, erwartet mich eine kleine halbdressierte Schim-
    pansin und ich lasse es mir nach Affenart bei ihr wohlge-
    hen. Bei Tag will ich sie nicht sehen; sie hat nämlich den
    Irrsinn des verwirrten dressierten Tieres im Blick; das
    erkenne nur ich und ich kann es nicht ertragen.
    
    Im Ganzen habe ich jedenfalls erreicht, was ich errei-
    chen wollte. Man sage nicht, es wäre der Mühe nicht
    wert gewesen. Im übrigen will ich keines Menschen Ur-
    teil, ich will nur Kenntnisse verbreiten, ich berichte nur,
    auch Ihnen, hohe Herren von der Akademie, habe ich 
    nur berichtet.
    [  ]
    Ein Hungerkünstler
    Vier Geschichten
    Erstes Leid
    Ein Trapezkünstler – bekanntlich ist diese hoch in den
    Kuppeln der großen Varietebühnen ausgeübte Kunst
    eine der schwierigsten unter allen, Menschen erreichba-
    ren – hatte, zuerst nur aus dem Streben nach Vervoll- 
    kommnung, später auch aus tyrannisch gewordener Ge-
    wohnheit sein Leben derart eingerichtet, daß er, so lange
    er im gleichen Unternehmen arbeitete, Tag und Nacht
    auf dem Trapeze blieb. Allen seinen, übrigens sehr ge-
    ringen Bedürfnissen wurde durch einander ablösende 
    Diener entsprochen, welche unten wachten und alles,
    was oben benötigt wurde, in eigens konstruierten Gefä-
    ßen hinauf- und hinabzogen. Besondere Schwierigkeiten
    für

Weitere Kostenlose Bücher