Drucke zu Lebzeiten
wiederhole: es verlockte mich nicht, die Menschen
nachzuahmen; ich ahmte nach, weil ich einen Ausweg
suchte, aus keinem anderen Grund. Auch war mit jenem
Sieg noch wenig getan. Die Stimme versagte mir sofort
wieder; stellte sich erst nach Monaten ein; der Wider-
wille gegen die Schnapsflasche kam sogar noch verstärk-
ter. Aber meine Richtung allerdings war mir ein für alle-
mal gegeben.
Als ich in Hamburg dem ersten Dresseur übergeben
wurde, erkannte ich bald die zwei Möglichkeiten, die
mir offen standen: Zoologischer Garten oder Variete.
Ich zögerte nicht. Ich sagte mir: setze alle Kra an, um
ins Variete zu kommen; das ist der Ausweg; Zoologi-
scher Garten ist nur ein neuer Gitterkäfig; kommst du in
ihn, bist du verloren.
Und ich lernte, meine Herren. Ach, man lernt, wenn
man muß; man lernt, wenn man einen Ausweg will; man
lernt rücksichtslos. Man beaufsichtigt sich selbst mit der
Peitsche; man zerfleischt sich beim geringsten Wider-
stand. Die Affennatur raste, sich überkugelnd, aus mir
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hinaus und weg, so daß mein erster Lehrer selbst davon
fast äffisch wurde, bald den Unterricht aufgeben und in
eine Heilanstalt gebracht werden mußte. Glücklicher-
weise kam er wieder bald hervor.
Aber ich verbrauchte viele Lehrer, ja sogar einige Leh-
rer gleichzeitig. Als ich meiner Fähigkeiten schon siche-
rer geworden war, die Öffentlichkeit meinen Fortschrit-
ten folgte, meine Zukun zu leuchten begann, nahm ich
selbst Lehrer auf, ließ sie in fünf aufeinanderfolgenden
Zimmern niedersetzen und lernte bei allen zugleich, in-
dem ich ununterbrochen aus einem Zimmer ins andere
sprang.
Diese Fortschritte! Dieses Eindringen der Wissens-
strahlen von allen Seiten ins erwachende Hirn! Ich leug-
ne nicht: es beglückte mich. Ich gestehe aber auch ein:
ich überschätzte es nicht, schon damals nicht, wieviel
weniger heute. Durch eine Anstrengung, die sich bisher
auf der Erde nicht wiederholt hat, habe ich die Durch-
schnittsbildung eines Europäers erreicht. Das wäre an
sich vielleicht gar nichts, ist aber insofern doch etwas, als
es mir aus dem Käfig half und mir diesen besonderen
Ausweg, diesen Menschenausweg verschae. Es gibt ei-
ne ausgezeichnete deutsche Redensart: sich in die Bü-
sche schlagen; das habe ich getan, ich habe mich in die
Büsche geschlagen. Ich hatte keinen anderen Weg, im-
mer vorausgesetzt, daß nicht die Freiheit zu wählen war.
Überblicke ich meine Entwicklung und ihr bisheriges
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Ziel, so klage ich weder, noch bin ich zufrieden. Die
Hände in den Hosentaschen, die Weinflasche auf dem
Tisch, liege ich halb, halb sitze ich im Schaukelstuhl und
schaue aus dem Fenster. Kommt Besuch, empfange ich
ihn, wie es sich gebührt. Mein Impresario sitzt im Vor-
zimmer; läute ich, kommt er und hört, was ich zu sagen
habe. Am Abend ist fast immer Vorstellung, und ich
habe wohl kaum mehr zu steigernde Erfolge. Komme
ich spät nachts von Banketten, aus wissenschalichen
Gesellschaen, aus gemütlichem Beisammensein nach
Hause, erwartet mich eine kleine halbdressierte Schim-
pansin und ich lasse es mir nach Affenart bei ihr wohlge-
hen. Bei Tag will ich sie nicht sehen; sie hat nämlich den
Irrsinn des verwirrten dressierten Tieres im Blick; das
erkenne nur ich und ich kann es nicht ertragen.
Im Ganzen habe ich jedenfalls erreicht, was ich errei-
chen wollte. Man sage nicht, es wäre der Mühe nicht
wert gewesen. Im übrigen will ich keines Menschen Ur-
teil, ich will nur Kenntnisse verbreiten, ich berichte nur,
auch Ihnen, hohe Herren von der Akademie, habe ich
nur berichtet.
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Ein Hungerkünstler
Vier Geschichten
Erstes Leid
Ein Trapezkünstler – bekanntlich ist diese hoch in den
Kuppeln der großen Varietebühnen ausgeübte Kunst
eine der schwierigsten unter allen, Menschen erreichba-
ren – hatte, zuerst nur aus dem Streben nach Vervoll-
kommnung, später auch aus tyrannisch gewordener Ge-
wohnheit sein Leben derart eingerichtet, daß er, so lange
er im gleichen Unternehmen arbeitete, Tag und Nacht
auf dem Trapeze blieb. Allen seinen, übrigens sehr ge-
ringen Bedürfnissen wurde durch einander ablösende
Diener entsprochen, welche unten wachten und alles,
was oben benötigt wurde, in eigens konstruierten Gefä-
ßen hinauf- und hinabzogen. Besondere Schwierigkeiten
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