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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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so
    wie ich es getan habe, streckenweise begleitet von vor- 
    trefflichen Menschen, Ratschlägen, Beifall und Orche-
    stralmusik, aber im Grunde allein, denn alle Begleitung
    hielt sich, um im Bilde zu bleiben, weit vor der Barriere.
    Diese Leistung wäre unmöglich gewesen, wenn ich ei-
    gensinnig hätte an meinem Ursprung, an den Erinnerun- 
    gen der Jugend festhalten wollen. Gerade Verzicht auf
    jeden Eigensinn war das oberste Gebot, das ich mir auf-
    erlegt hatte; ich, freier Affe, fügte mich diesem Joch.
    Dadurch verschlossen sich mir aber ihrerseits die Erin-
    nerungen immer mehr. War mir zuerst die Rückkehr, 
    wenn die Menschen gewollt hätten, freigestellt durch das
    ganze Tor, das der Himmel über der Erde bildet, wurde
    es gleichzeitig mit meiner vorwärts gepeitschten Ent-
    wicklung immer niedriger und enger; wohler und einge-
    schlossener fühlte ich mich in der Menschenwelt; der 
    [  ]
    Sturm, der mir aus meiner Vergangenheit nachblies,
    sänigte sich; heute ist es nur ein Luzug, der mir die
    Fersen kühlt; und das Loch in der Ferne, durch das er
    kommt und durch das ich einstmals kam, ist so klein
     geworden, daß ich, wenn überhaupt die Kräe und der
    Wille hinreichen würden, um bis dorthin zurückzulau-
    fen, das Fell vom Leib mir schinden müßte, um durch-
    zukommen. Offen gesprochen, so gerne ich auch Bilder
    wähle für diese Dinge, offen gesprochen: Ihr Affentum,
     meine Herren, soferne Sie etwas Derartiges hinter sich
    haben, kann Ihnen nicht ferner sein als mir das meine.
    An der Ferse aber kitzelt es jeden, der hier auf Erden
    geht: den kleinen Schimpansen wie den großen Achilles.
    In eingeschränktestem Sinn aber kann ich doch viel-
     leicht Ihre Anfrage beantworten und ich tue es sogar mit
    großer Freude. Das erste, was ich lernte, war: den
    Handschlag geben; Handschlag bezeugt Offenheit; mag
    nun heute, wo ich auf dem Höhepunkte meiner Lauf-
    bahn stehe, zu jenem ersten Handschlag auch das offene
     Wort hinzukommen. Es wird für die Akademie nichts
    wesentlich Neues beibringen und weit hinter dem zu-
    rückbleiben, was man von mir verlangt hat und was ich
    beim besten Willen nicht sagen kann – immerhin, es soll
    die Richtlinie zeigen, auf welcher ein gewesener Affe in
     die Menschenwelt eingedrungen ist und sich dort festge-
    setzt hat. Doch düre ich selbst das Geringfügige, was
    folgt, gewiß nicht sagen, wenn ich meiner nicht völlig
    [  ]
    sicher wäre und meine Stellung auf allen großen Varieté-
    bühnen der zivilisierten Welt sich nicht bis zur Uner-
    schütterlichkeit gefestigt hätte:
    Ich stamme von der Goldküste. Darüber, wie ich ein-
    gefangen wurde, bin ich auf fremde Berichte angewie- 
    sen. Eine Jagdexpedition der Firma Hagenbeck – mit
    dem Führer habe ich übrigens seither schon manche gute
    Flasche Rotwein geleert – lag im Ufergebüsch auf dem
    Anstand, als ich am Abend inmitten eines Rudels zur
    Tränke lief. Man schoß; ich war der einzige, der getrof- 
    fen wurde; ich bekam zwei Schüsse.
    Einen in die Wange; der war leicht; hinterließ aber
    eine große ausrasierte rote Narbe, die mir den widerli-
    chen, ganz und gar unzutreffenden, förmlich von einem
    Affen erfundenen Namen Rotpeter eingetragen hat, so 
    als unterschiede ich mich von dem unlängst krepierten,
    hie und da bekannten, dressierten Affentier Peter nur
    durch den roten Fleck auf der Wange. Dies nebenbei.
    Der zweite Schuß traf mich unterhalb der Hüe. Er
    war schwer, er hat es verschuldet, daß ich noch heute ein 
    wenig hinke. Letzthin las ich in einem Aufsatz irgendei-
    nes der zehntausend Windhunde, die sich in den Zeitun-
    gen über mich auslassen: meine Affennatur sei noch
    nicht ganz unterdrückt; Beweis dessen sei, daß ich,
    wenn Besucher kommen, mit Vorliebe die Hosen auszie- 
    he, um die Einlaufstelle jenes Schusses zu zeigen. Dem
    Kerl sollte jedes Fingerchen seiner schreibenden Hand
    [  ]
    einzeln weggeknallt werden. Ich, ich darf meine Hosen
    ausziehen, vor wem es mir beliebt; man wird dort nichts
    finden als einen wohlgepflegten Pelz und die Narbe nach
    einem – wählen wir hier zu einem bestimmten Zwecke
     ein bestimmtes Wort, das aber nicht mißverstanden wer-
    den wolle – die Narbe nach einem frevelhaen Schuß.
    Alles liegt offen zutage; nichts ist zu verbergen; kommt
    es auf Wahrheit an, wir jeder Großgesinnte die aller-
    feinsten Manieren

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