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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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die
    Bank, streichelte ihn und drückte sein Gesicht an das
    eigene, so daß es auch von des Trapezkünstlers Tränen
    überflössen wurde. Aber erst nach vielen Fragen und
     Schmeichelworten sagte der Trapezkünstler schluch-
    zend: „Nur diese eine Stange in den Händen – wie kann
    ich denn leben!“ Nun war es dem Impresario schon
    leichter, den Trapezkünstler zu trösten; er versprach,
    gleich aus der nächsten Station an den nächsten Gast-
     spielort wegen des zweiten Trapezes zu telegraphieren;
    machte sich Vorwürfe, daß er den Trapezkünstler so lan-
    ge Zeit nur auf einem Trapez hatte arbeiten lassen, und
    [  ]
    dankte ihm und lobte ihn sehr, daß er endlich auf den
    Fehler aufmerksam gemacht hatte. So gelang es dem Im-
    presario, den Trapezkünstler langsam zu beruhigen, und
    er konnte wieder zurück in seine Ecke gehen. Er selbst
    aber war nicht beruhigt, mit schwerer Sorge betrachtete 
    er heimlich über das Buch hinweg den Trapezkünstler.
    Wenn ihn einmal solche Gedanken zu quälen begannen,
    konnten sie je gänzlich auören? Mußten sie sich nicht
    immerfort steigern? Waren sie nicht existenzbedrohend?
    Und wirklich glaubte der Impresario zu sehn, wie jetzt 
    im scheinbar ruhigen Schlaf, in welchen das Weinen ge-
    endet hatte, die ersten Falten auf des Trapezkünstlers
    glatter Kinderstirn sich einzuzeichnen begannen.
    Eine kleine Frau
    Es ist eine kleine Frau; von Natur aus recht schlank, ist 
    sie doch stark geschnürt; ich sehe sie immer im gleichen
    Kleid, es ist aus gelblich-grauem, gewissermaßen holz-
    farbigem Stoff und ist ein wenig mit Troddeln oder
    knöpf artigen Behängen von gleicher Farbe versehen; sie
    ist immer ohne Hut, ihr stumpf-blondes Haar ist glatt 
    und nicht unordentlich, aber sehr locker gehalten.
    Trotzdem sie geschnürt ist, ist sie doch leicht beweglich,
    [  ]
    sie übertreibt freilich diese Beweglichkeit, gern hält sie
    die Hände in den Hüen und wendet den Oberkörper
    mit einem Wurf überraschend schnell seitlich. Den Ein-
    druck, den ihre Hand auf mich macht, kann ich nur
     wiedergeben, wenn ich sage, daß ich noch keine Hand
    gesehen habe, bei der die einzelnen Finger derart scharf
    voneinander abgegrenzt wären, wie bei der ihren; doch
    hat ihre Hand keineswegs irgendeine anatomische Merk-
    würdigkeit, es ist eine völlig normale Hand.
     Diese kleine Frau nun ist mit mir sehr unzufrieden,
    immer hat sie etwas an mir auszusetzen, immer geschieht
    ihr Unrecht von mir, ich ärgere sie auf Schritt und Tritt;
    wenn man das Leben in allerkleinste Teile teilen und
    jedes Teilchen gesondert beurteilen könnte, wäre gewiß
     jedes Teilchen meines Lebens für sie ein Ärgernis. Ich
    habe o darüber nachgedacht, warum ich sie denn so
    ärgere; mag sein, daß alles an mir ihrem Schönheitssinn,
    ihrem Gerechtigkeitsgefühl, ihren Gewohnheiten, ihren
    Überlieferungen, ihren Hoffnungen widerspricht, es
     gibt derartige einander widersprechende Naturen, aber
    warum leidet sie so sehr darunter? Es besteht ja gar keine
    Beziehung zwischen uns, die sie zwingen würde, durch
    mich zu leiden. Sie müßte sich nur entschließen, mich als
    völlig Fremden anzusehn, der ich ja auch bin und der ich
     gegen einen solchen Entschluß mich nicht wehren, son-
    dern ihn sehr begrüßen würde, sie müßte sich nur ent-
    schließen, meine Existenz zu vergessen, die ich ihr ja
    [  ]
    niemals aufgedrängt habe oder aufdrängen würde – und
    alles Leid wäre offenbar vorüber. Ich sehe hiebei ganz
    von mir ab und davon, daß ihr Verhalten natürlich auch
    mir peinlich ist, ich sehe davon ab, weil ich ja wohl
    erkenne, daß alle diese Peinlichkeit nichts ist im Ver- 
    gleich mit ihrem Leid. Wobei ich mir allerdings durchaus
    dessen bewußt bin, daß es kein liebendes Leid ist; es
    liegt ihr gar nichts daran, mich wirklich zu bessern, zu-
    mal ja auch alles, was sie an mir aussetzt, nicht von einer
    derartigen Beschaffenheit ist, daß mein Fortkommen da- 
    durch gestört würde. Aber mein Fortkommen kümmert
    sie eben auch nicht, sie kümmert nichts anderes als ihr
    persönliches Interesse, nämlich die Qual zu rächen, die
    ich ihr bereite, und die Qual, die ihr in Zukun von mir
    droht, zu verhindern. Ich habe schon einmal versucht, 
    sie darauf hinzuweisen, wie diesem fortwährenden Ar-
    ger am besten ein Ende gemacht werden könnte, doch
    habe ich sie gerade dadurch in eine

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