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Drüberleben

Drüberleben

Titel: Drüberleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Weßling
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und somit nicht so verweichlicht zu sein wie so manch anderer auf der Station, den die Patienten zwar mögen, der aber auch damit leben muss, dass er hintergangen wird und dessen Anweisungen nur nach Gusto Folge geleistet werden.
    Frau Gräfling mag das Gefühl von Macht zu sehr, als dass sie sich gerne an der Nase von Verrückten herumführen lässt, und so hat sie die fünfundzwanzig Jahre seit dem unseligen Vorfall in dem ruhigen Wissen verbracht, zwar nicht geliebt, aber wenigstens respektiert zu werden.
    » Sie werden hier keine Probleme haben, wenn Sie mir gut zuhören und wenn Sie machen, was ich sage.«
    Sie sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an. Ich finde, dass das ein schöner Satz für eine Entführung wäre, und denke an die Frage von Frau Wängler, ob ich mich als Opfer fühle.
    » In Ordnung. Was heißt das genau?«
    » Wir frühstücken hier zusammen. Damit meine ich: Jeder erscheint zum Frühstück. Danach findet die Morgenrunde statt, an der alle teilnehmen. Mit alle meine ich alle. Das heißt, dass ich es persönlich nehme, falls Sie zu spät kommen, nicht anwesend sind oder die Gruppe anderweitig stören. Das gilt übrigens für alle Gruppen. Danach haben Sie eine halbe Stunde Pause. Da können Sie Kaffee trinken oder was Sie da auch immer machen wollen. Um zehn fangen die ersten Gruppen an. Um zwölf gibt es Mittagessen. Um vierzehn Uhr finden die nächsten Gruppen statt. Den Rest können Sie dem Plan entnehmen. Um achtzehn dreißig ist Abendessen. Danach können Sie bis zehn machen, wozu Sie lustig sind. Aber: Sie werden hier keinen Alkohol trinken, Sie werden keinen Geschlechtsverkehr mit Mitpatienten haben, und Sie werden sich bei mir höchstpersönlich abmelden, falls Sie planen, das Gelände zu verlassen, verstanden?«
    Sie fixiert mich mit zusammengekniffenen Augen, und ihre Lippen werden zu einem dünnen Strich, der genau von ihrem rechten Mundwinkel bis zu einem kleinen Zucken im linken reicht und eine Botschaft überbringt, die mir bedeutet, dass ihre Fragen weniger selbige sind, sondern Befehle, und dass die richtige Antwort immer nur ein Folgeleisten sein kann.
    Ich nicke, darum bemüht, den Eindruck zu vermitteln, absolut verstanden zu haben. Und zwar alles. Das Gesagte und das nicht Gesagte.
    » Gut. Nun zu uns beiden. Ich bin Ihre Bezugspflegerin. Das heißt, dass Sie einmal die Woche ein Gespräch mit mir haben, in dem Sie mir erzählen, wie es Ihnen geht. Das ist wie ein Therapeutengespräch. Außerdem bin ich für Sie da, falls es Probleme gibt. Ich denke aber, dass das nicht der Fall sein wird, oder?«
    Sie sieht mich drohend an.
    » Nein. Keine Ahnung. Was für Probleme?«
    » Eben. Was für Probleme. So sehe ich das auch. Das ist die richtige Einstellung. Noch Fragen?«
    Ich verneine, und sie erklärt mir, dass sie mir nun mein Zimmer zeige.
    Als ich hinter ihr den Gang entlangtrotte, lasse ich den Blick starr auf ihren Rücken gerichtet. Die Patienten auf dem Flur weichen uns aus, als bildeten wir einen königlichen Zug, sie die Königin und ich ihr Lakai: Die Gräfin demonstriert und zeigt, verlangt und fordert und scheint auch etwas als Gegenleistung anzubieten– obschon ich mir nicht mehr sicher bin, ob es sich dabei um Fürsorge oder um das bloße Verschonen der eigenen Person handelt.
    An der Zimmertür angelangt dreht sie sich abrupt um und sieht mich noch einmal mit diesem ihr eigenen Blick an, den ich erst ein paar Wochen später richtig zu deuten wissen werde. Für diesen Moment aber winde ich mich unter ihren Augen, als hätte ich etwas zu verbergen, und nehme mir vor, diesem Blick standzuhalten, egal, welche Schreckhaftigkeit er auch immer bei all den nächsten Malen zu bieten vermag.
    Ihr Klopfen an der Tür ähnelt eher einem Hämmern, aber auch das scheint gewöhnlich bei ihr zu sein. Als niemand öffnet, drückt sie die Türklinke hinunter und betritt vor mir den ungefähr zwanzig Quadratmeter großen Raum. Zwei Betten und zwei kleine Nachttische, ein Fernseher an der Wand und ein WC neben der Tür befinden sich darin, außerdem ein Schrank, dessen eine Tür sie jetzt öffnet und mir erklärt, dass das Krankenhaus für eventuelle Diebstähle keine Haftung übernähme. Sie reicht mir den Schlüssel, mit dem der Spind verschließbar ist, und nennt mir noch einmal die Zeiten für das Mittag- und Abendessen.
    » Viel mehr müssen Sie erst einmal nicht wissen«, schließt sie endlich ihren Vortrag, um mich dann alleine zu lassen.

Sechs
    D as Bett ist ein

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