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Drüberleben

Drüberleben

Titel: Drüberleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Weßling
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zur Unsichtbarkeit wird, zu jenem Nicht-Auffallen zwischen all dem anderen Unsichtbaren. Ich will ja werden, was ihr seid, will ja begreifen, was ihr schon wisst, aber bitte, könnten Sie diesen Zettel unterschreiben? Auf dem steht, dass ich mich bei Nichtgefallen umtauschen kann, dass Sie mir den Preis an Lebenszeit zurückerstatten, in Tag und Monat und Erlebnis und Mut. Würden Sie bitte hier gegenzeichnen?
    Ich wanke ein wenig, taumle der Nische entgegen, die sich durch die Umbaumaßnahmen ein paar Jahrzehnte zuvor ergeben haben muss: zwei Wände und eine kleine Einbuchtung dazwischen, die keinen Zweck erfüllt und architektonisch sinnlos ist, aber zahlreich vorkommt in sanierten Altbauten und öffentlichen Gebäuden.
    Die Nische ist gerade so groß, dass mein Körper an der Wand hinuntersacken kann und ich kniend die Tropfen zähle, die mir auf die Oberschenkel fallen. Fünfundzwanzig sind es schon nach einer Minute, dann versiegt der Strom langsam, und ich wische mir die Augen mit dem Ärmel ab und verharre in meiner Hocke.
    Etwas ändern, das war die Maxime. Etwas ändern, das etwas änderte, das mein Leben war. Eine Durchhalteparole, die in Bewegung war, die nie zum Ziel führte, war doch eben jenes Ziel nicht festgelegt, war das Ziel bloß Metapher eines Zustandes: Zufriedenheit. Wann bin ich zufrieden und wann bloß befriedigt? Wann bin ich nicht einfach nur satt, sondern fühle mich angekommen, dieses Angekommen, von dem die anderen immer sprechen, wenn sie eigentlich » erreicht« meinen. Und was hatten sie dann erreicht? Was ist es eigentlich, das ich erreichen muss, um da zu sein, wo die anderen stehen, wenn sie lachen, sich freuen, herüberwinken von der Insel, vor der ich im offenen Meer schwimme und Leuchtraketen aus Geschrei abfeuere?
    Ich hatte durchaus einmal Ziele gehabt. Ich hatte das Abitur und ein Studium abschließen wollen, ich wollte Freunde und eine Wohnung, die beim Betreten gleich ruft: Hier wohnt eine, die zufrieden ist, das kann man an den Kerzen und an den Kissen und an der ganzen glückseligen Gemütlichkeit erkennen, Herrschaften. Aus mir hätte etwas werden sollen, und was das war, war auch bloß Metapher, vage Vorstellung und ein bisschen Träumerei gewesen, aber immerhin war es ein Ziel, das ich versucht hatte zu erreichen. Irgendwann war etwas passiert, das begonnen hatte, den Weg zu zerfressen, den ich ging, etwas, das aus dem Weg einen Hindernisparcours gemacht hatte. Und das, was da passiert war, war ich gewesen. Ein Gedanke, der sich gesetzt hatte in mein Leben, das ihm den Platz in der ersten Reihe geboten hatte. Der Gedanke, der Frage war, der Zweifel war, der Angst war: Mache ich all das für mich oder für die anderen?
    Und mit einem Mal war alles Streben, war alles Ziel zur Fragwürdigkeit verkommen. Ich hatte nicht mehr gewusst, ob ich mich anstrengte, um etwas zu erreichen, das mir lag oder das nur den Wünschen der anderen entsprach. Ich hatte nicht mehr gewusst, ob ich für mich aufstand oder für die Erfüllung einer Vorstellung, die mir eingepflanzt worden war, damit ich dabei blieb, damit ich nicht abtrieb in das offene Meer der Ziellosen. Und ich fand die Antwort nicht. Mit jedem Mal mehr, das ich darüber nachdachte, zerfiel die Schnur, an der ich mich bis jetzt noch im schlimmsten Sturm hatte orientieren können, immer mehr zu Fasern, die schon rissen, wenn ich sie nur leicht berührte. Ich stolperte weiter vor mich hin, versuchte dies, versuchte das und scheiterte am Ende immer wieder an einer einzigen Frage: Warum tat ich das alles?
    » Du kannst nicht so weitermachen!« Die Stimme von Frau Wängler durchdringt meine Gedanken, und gerade, als ich aus der Ecke steigen und ihr antworten will, noch ganz überrascht ob ihrer augenscheinlichen Fähigkeit, Gedanken lesen zu können, erklingt eine zweite Stimme.
    » Ich weiß, aber es ist mein Job, hörst du? Ich kann ihm das nicht noch zwanzig Jahre vorwerfen, ohne auch noch verrückt zu werden.« Frau Gräflings Stimme zittert leicht, eine Unsicherheit, die ihr nicht zuzutrauen war.
    » Susanne, ich sage dir schon seit Jahren, dass du endlich mit ihm reden musst. Das geht so nicht weiter. Entweder klärt ihr das endlich, oder du leidest noch bis zu deiner Pension. Und das halte ich für eine sehr schlechte Option, um ehrlich zu sein.«
    » Ich hasse dieses um ehrlich zu sein. Als wären die Menschen grundsätzlich unehrlich, aber jetzt, in diesem einen Gespräch, sagen sie endlich mal die Wahrheit.«
    » Und das

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