Drüberleben
Gespräch.
» Ja, bitte, das wäre doch ein wirklich nettes Ziel.«
» Gut, dann halten wir das so fest. Sie wünschen sich also mehr Zufriedenheit. Noch etwas?«
» Abgesehen von der Möglichkeit, endlich so viel Geld zu verdienen, dass ich die Nabelschnur, mit der ich immer noch an Mama und Papa hänge, mit einer Schere aus Gold durchtrennen kann, wünsche ich mir eigentlich nur, dass ich mein Leben endlich verbessern kann. Auf die Art, die man immer in den Ratgebern liest: die Mischung aus Struktur, Leugnung der Tatsachen und gewaltfreier Kommunikation mit Mitmenschen. Ich wünsche mir, dass ich mit dem zurechtkomme, was ich habe. Und dass ich die Wohnung verlassen kann, ohne das Gefühl zu haben zu ersticken. Keine Angst und viel mehr Freude, das wünsche ich mir.«
Kropka nickt und wirft einen Blick auf Wängler, die meine Worte hoffentlich zu etwas umschreibt, das nicht nach Roman klingt.
» Einen letzten Punkt haben wir noch: Wir würden gerne mit Ihnen über eine mögliche Medikation sprechen. Es gibt ein paar gute Medikamente, die in Ihrem Fall der Therapie auf eine sinnvolle und unterstützende Art zuarbeiten können. Natürlich ersetzen sie keine Therapie, aber sie sind eine wertvolle Ergänzung. Wir würden Ihnen gerne P. vorschlagen, ein Medikament, das sich gegen Angst- und Panikstörungen bewährt hat, aber auch gegen Depressionen gute Resultate erzielt hat. Können wir uns darauf einigen?«
Weißer Schaum in der Kloschüssel. Würgen. Weißer Schaum neben der Kloschüssel. Zittern, Kopfschmerzen, Schwindel. In das Schlafzimmer zurückwanken, auf das Bett fallen, zitternd, würgend, fiebrig. Drei Tage, hatten sie gesagt, drei Tage, und dann würde es besser. Das lasse nach, bis es ganz verschwände, ganz bestimmt. Tagelange Übelkeit. Dann die Wand. Eine Nebelbank vor allem, das wehtut. Der Nebel, der einer Mauer ähnlich alles abprallen ließ, das über das gelegentliche Seufzen und ferne Erinnerungen hinausging. Eine Wand, die das Jetzt vom Gestern fernhielt, den Tag von der Realität des Status quo, eine Wand wie ein Loch, in das alles fiel, was Angst machte. Nach einer Woche hatten sie es abgesetzt, etwas stimme nicht mit dem Blut, und etwas stimmte auch mit mir nicht, der Schaum war längst verschwunden, als der Nebel gekommen war und sich nicht lichtete, bis das Medikament nach drei Tagen endlich aus dem Blut verschwand.
» Ich weiß nicht. Ich habe keine guten Erfahrungen mit Psychopharmaka gemacht.« Zum ersten Mal Unsicherheit zwischen Kropkas Worten und meiner Antwort: Ich war mir nicht sicher, ob ich eine solche Tortur, die nicht nur die Psyche, sondern auch die physischen Bestandteile meines Körpers angegriffen hatte, ob ich eine solche Erfahrung wiederholen wollte. Andererseits war der Schaum längst zu Gas geworden, das sich in der Luft des Badezimmers verflüchtigt hatte und nur ferne Erinnerung blieb, während ich im Jetzt und Hier sitze und nach Hilfe frage. Ob sie nun aus dem Mund Wänglers oder aus einem Blister kommt, ist für mein jetziges Ich von großer Gleichgültigkeit. Also nicke ich und sage Ja, Ja, ich will es versuchen, noch einmal versuchen. Aber dieses Mal in niedriger Dosierung und langsamer Steigerung derselben. Kropka nickt, weist Wängler an, die Dosis zu notieren, und erhebt sich, um mir seine klebrige Hand zu reichen.
Ich drehe mich um und verlasse den Raum leise, ziehe die Tür hinter mir zu, als dürfte ich kein Geräusch mehr machen, kein einziges Geräusch, das an dieser Entscheidung noch etwas ändern könnte.
Und wenn es nur das laute Zuziehen einer Tür sein mochte: Das Geschrei in meinem Kopf scheint nur noch eine winzige Aufforderung zu benötigen, um zurückzulaufen und zu rufen: Ich habe Angst, ich will das nicht! Ich habe Angst vor den Tabletten und davor, dass ihr alles noch schlimmer macht. Dass ihr gar nicht wisst, was ihr mit mir anstellen sollt. Dass ihr nur rätselt und ratet und Psychologie spielt, um zu schauen, wer nachher gewinnt: Der irre Kopf oder euer Studium, eure Supervision, eure ganze Erfahrung, mit der ihr glaubt, einen Menschen in ein paar Wochen so begreifen zu können, dass ihr ein Leben aus Irrsinn ausgleichen könnt mit gut gemeinten Ratschlägen.
Ich will ja glauben und will ja tanzen und will mir ja die Fäden selbst ziehen, mit denen ich vernäht habe, was gar nicht abgeheilt ist, sondern nur eitert und schmerzt und brennt. Ich will ja glauben und will ja beißen und will mich ja verhalten, auf eine Art verhalten, die
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