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Drüberleben

Drüberleben

Titel: Drüberleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Weßling
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entspricht ja so gar nicht deiner Vorstellung der Menschen, nicht wahr? Im Übrigen: Du lenkst ab. Ich bemerke so etwas.«
    » Hör mal Beate, ich bin keine deiner Patienten. Ich brauche keine eingehende Beratung darüber, wie ich mit Hermann umgehen soll. Wir haben das damals unter uns geregelt, und ich habe zugestimmt, darüber Stillschweigen zu bewahren. Und damit habe ich mir selbst den Mund zugeklebt. Für alle Zeiten. Und jetzt Schluss damit.«
    » Sprich endlich mit ihm.«
    » Was soll ich ihm denn sagen? Wenn du damals für mich da gewesen wärst, anstatt mich mit dieser Assistenzärztin zu betrügen, hätte mich dieser Irre niemals so schwer verletzen können, und du wärst heute nicht Oberarzt, weil du Daddys Darling gevögelt hast, während ich von diesem Patienten attackiert wurde? Und dann? Wird er sich entschuldigen, mir zustimmen, sie verlassen und einsehen, dass das alles ein ganz großer Fehler war? Das ist über zwanzig Jahre her, er hat es bestimmt längst vergessen. Und zum Glück muss ich ihm ja nur einmal die Woche in sein verlogenes Gesicht…«
    » Warte mal, da kommt jemand.«
    Sie schweigen einen Moment, grüßen dann kurz jemanden und fahren flüsternd fort.
    » Also noch mal: Es würde einfach gar nichts ändern, Beate. Er bleibt Oberarzt, und ich weiß seit damals wenigstens, wie man mit den Leuten hier umzugehen hat. Punkt.«
    » Ich wünschte, ich könnte dich dazu bringen, endlich reinen Tisch zu machen. Und du hast Recht: Ich bin nicht deine Therapeutin. Aber deine Freundin. Deshalb schreibe ich dir nichts vor, sondern bitte dich bloß darum, es dir noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Wenn du danach immer noch meinst, dass es nicht an der Zeit ist, die Sache zu klären: Bitte schön.«
    » Da gibt es nichts mehr zu klären. Ich muss jetzt los, bis später in der Kantine?«
    Sie gehen auseinander, ich höre die Stationstür zufallen, dann ein Seufzen, das nach Wängler klingt, und ihre Schritte, die sich langsam entfernen. Eine Tür schließt sich, und es ist wieder still. Vorsichtig blicke ich um die Ecke des Wandvorsprungs und erhebe mich dann langsam, um auf die Station zurückzugehen, die ab heute zu Hause sein soll.

Elf
    I ch setze mich an einen der Tische im Essensraum, um den Anamnesefragebogen auszufüllen, der jedem Patienten zu Beginn seiner Therapie ausgehändigt wird und dessen Auswertung den Therapeuten helfen soll, eine Übersicht über Vergangenheit und Zustand des Patienten zu bekommen.
    » Morgen«, murmelt jemand hinter mir, dessen Gesicht ich erinnere, dessen Name mir aber noch nicht bekannt ist. Er stellt seine Tasse neben meine, während er sich setzt.
    » Hallo.«
    » Gut geschlafen? Die erste Nacht ist immer furchtbar, oder?«, er gähnt und reibt sich die Augen, so, als wäre es seine Nacht gewesen, über die wir hier sprechen. » Ich hoffe, du weißt, dass dir die Nachtschwester etwas zum Schlafen geben kann?«
    Ich nicke und erzähle ihm, dass die Nachtschwester es zunächst mit einer Medikation versuchen wollte, es dann aber doch bei einem Kamillentee beließ. » Vielleicht gewöhne ich mich ja noch daran, dass es hier zuerst immer Medikamente gibt, bevor etwas anderes in Betracht gezogen wird. Wäre ja nicht das Erste, an das ich mich schneller als erwartet gewöhne.«
    » Woran noch?«, fragt er.
    Ich überlege einen Moment.
    » An zu viel.«
    » Ich vermute: Alkohol?«
    » Wo gibt es hier Alkohol?«, ruft plötzlich jemand hinter mir, und ich wende mich erschrocken um. In der Tür steht Florian, grinst und ahmt das Zischen nach, das beim Öffnen einer Bierflasche entsteht.
    » Leider nirgends. Aber wenn du dir vorstellen kannst, dass die braune, wässrige Suppe, die sie hier in die Thermoskannen füllen und Kaffee nennen, Bier ist, dann hast du gute Chancen, dich von morgens bis abends zu betrinken.«
    Florian setzt sich zu uns und legt seinen Kopf auf beide Hände. Er stöhnt. » Gott, Peter, mir ist so langweilig. Heute sind alle meine Gruppen ausgefallen, und ich habe keine Ahnung, was ich mit der ganzen Zeit anfangen soll.«
    » Vielleicht nachdenken?«, schlägt Peter eine Spur zu aggressiv vor.
    » Wenn ich noch mehr nachdenken muss, dann implodiert etwas in meinem Kopf, das lebenswichtig sein könnte«, antwortet Florian ungerührt und zeigt dann plötzlich auf mich.
    » Ida, stimmt’s?«
    Ich nicke.
    » Willkommen in unserer Reisegruppe Psychotours. Der Weg ist das Ziel, die Reise der Ort. Sie kommen vielleicht nie an, aber trotzdem viel

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