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Drüberleben

Drüberleben

Titel: Drüberleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Weßling
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Wie furchtbar mühselig im Grunde jede Handlung blieb, die erwirken sollte, dass etwas von Bestand entstehen konnte. Zeilen über die Unmöglichkeit des Festhaltens, des Bleibens, des Verweilens. Zeilen über Haltlosigkeiten und Vertrauen, das immer nur ein Provisorium war. Denn im Grunde blieb das Unaussprechliche unaussprechlich. Es blieb ein Satz, der sich durch jede Gedankenstruktur fraß, der Momente vergiftete wie Säure, die erst an der Oberfläche Blasen warf und ihre wirklichen Schäden unter einem Zischen und Blubbern und Stinken verbarg. Dieser eine Satz, der mehr Gefühl als Worte war, der ausgesprochen abgewunken und widersprochen wurde, der ein solcher Allgemeinplatz geworden war und der trotzdem unabänderbar wie eine Überschrift der Geschichte, die ich eigentlich hatte schreiben wollen, über allem stand.
    Es blieb nur dieser eine Satz, den das Unaussprechliche sich selbst beschreibend einem Mantra gleich wiederholte. Leben ist sinnlos.

Zwölf
    B eate Wängler öffnet so ruckartig und schnell die Tür, als hätte sie lauernd hinter der Tür auf mich gewartet. Ich stand zuvor eine Weile unschlüssig vor ihrem Zimmer und wartete darauf, dass etwas passierte. Dass sich die Tür von allein öffnete oder dass jemand kam und mich von dort wegzog, in ein Auto steckte und mit mir davonfuhr. Wie so häufig geschah nichts dergleichen. Also klopfte ich schließlich an.
    » Frau Schaumann, bitte sehr!«, begrüßt Frau Wängler mich nun fröhlich und weist auf einen der drei Stühle, die sich in dem Raum befinden. Wir sitzen uns gegenüber, wie wir es schon bei unserem ersten Gespräch taten. Sie lächelt. Ich starre aus dem Fenster. Sie atmet ein, atmet aus und legt die Hände in den Schoß.
    » Frau Schaumann, wie geht es Ihnen?«
    » Super«, antworte ich und verziehe mein Gesicht zu einer schiefen Grimasse.
    » Nun, verzeihen Sie, wenn ich das so offen sage, aber Sie sehen nicht so aus, als würde das der Wahrheit entsprechen.«
    » Das könnte daran liegen, dass das gelogen war. Überraschung!«
    » Wie geht es Ihnen also tatsächlich?«
    » Ich habe wenig geschlafen, hatte Albträume, mir ist übel von den Tabletten. Ansonsten ist das ja ein ganz hübsches Hotel hier, wenn das Essen bloß ein wenig besser wäre und nicht dauernd jemand heulen würde, nicht wahr.«
    » Sie sehen Ihren Aufenthalt bei uns also als eine Art Urlaub?«, fragt Frau Wängler, während ihr Lächeln langsam erstirbt.
    » Natürlich. Ich habe lange gespart, um mir endlich die Eintrittskarte für dieses hübsche Etablissement kaufen zu können. Schön, es endlich geschafft zu haben.«
    Frau Wängler atmet ein und atmet aus. Reibt ihre Hände aneinander, scheint einem Gedanken nachzuhängen, um dann plötzlich in die Stille zu fragen:
    » Ich würde gerne wissen: Warum sind Sie eigentlich hier?«
    » Das wissen Sie doch. Wir sprachen bereits darüber«, antworte ich.
    » Das ist das, was Sie erzählt haben, ja. Aber was ich mich frage ist: Was ist der wirkliche Grund? Sie wirken auf mich sehr wütend und im Grunde sogar ablehnend. Deshalb frage ich mich, was der Auslöser für Sie war hierherzukommen. Warum Sie unsere Hilfe in Anspruch nehmen möchten und ob Sie diese überhaupt wollen.«
    Sie sieht mich mit dem leeren, ausdruckslosen Blick einer Therapeutin an, in deren Augen niemand etwas hineininterpretieren soll, mit diesem Blick, bei dem ich mich immer wieder frage, ob man ihn lernen kann oder ob er nur das Resultat einiger unangenehmer Erfahrungen ist. Ich versuche, in diesem Blick zu lesen, versuche, mir ihre Augen vorzustellen als solche, die mehr Tränen und mehr zerlaufene Wimperntusche gesehen haben als die meisten. Ich versuche, mir ihre Augen vorzustellen, wenn sie lacht und wenn sie kocht und wenn sie beim Einkaufen jemandem begegnet, den sie mag. Ich versuche, sie mir als Freundin vorzustellen, als jemanden, dem ich beim Einkaufen begegne. Es gelingt mir nicht, ich kann mir diesen undurchdringlichen Schleier ebenso wenig wegdenken wie die Tatsache, dass diese Frau mir eigentlich völlig fremd ist und es immer bleiben wird.
    » In Ordnung«, sage ich, » ich erkläre es Ihnen.«
    Sie nickt auffordernd.
    » Eigentlich geht es mir schlecht, seit ich denken kann. Manchmal höre ich die anderen sagen, dass sie sich wünschen, wieder so zu werden, wie sie einmal gewesen sind. Das ist bei mir nicht so. Ich bin nämlich nie richtig anders gewesen. Oder eigentlich bin ich immer anders gewesen. Im Kindergarten war ich das eine

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