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Drüberleben

Drüberleben

Titel: Drüberleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Weßling
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still in der Bar. Bevor ich begreifen kann, was passiert ist, was ich gerade getan habe, breche ich in ein hysterisches Lachen aus, während Sebastian mich am Arm packt und nach draußen zieht. Der Wirt, der herbeieilt, wird von ihm im Gehen beschwichtigt, » Ja, ja, alles unter Kontrolle, ich bringe sie weg hier, nein, keine Polizei nötig, bitte, keine Polizei«, und er zerrt mich nach draußen vor das Lokal und über den Platz, vorbei an meinem Fahrrad, an den dunklen Fenstern der Häuser, bis zu meiner Haustür.
    Auf dem ganzen Weg lache ich weiter, nur unterbrochen von ein paar kläglichen Schluchzern, bis mir wieder einfällt, was ich getan habe und das Lachen von vorne beginnt.
    Sebastian drückt mich auf die Stufen unseres Hauses und setzt sich erschöpft neben mich. Er lässt seinen Kopf auf die Knie fallen und seufzt.
    » Ach Ida«, sagt er. » Ach Ida.«
    Ich beruhige mich langsam.
    » Peer hätte dir das nicht sagen sollen.«
    » Doch. Und zwar schon viel früher. Und du auch. Ihr hättet es mir damals sagen müssen.«
    » Aber was zum Teufel ist denn mit dir los? Immer bist du so wütend. Warst du damals auch schon. Was macht dich denn ständig so sauer?« Er wirkt verzweifelt.
    » Alles. Am meisten, dass ich nie das Gefühl hatte, mal irgendwo dazuzugehören. Dass ich nie das Gefühl hatte, ein richtiges Zuhause bei jemandem zu haben. Dass ich mich nicht schützen konnte und nicht beschützt wurde. Dass sich keiner vor mich gestellt hat und den anderen gesagt hat, sie sollen aufhören, so mit mir umzugehen.«
    » Aber wir waren doch da.«
    » Julia war da. Ihr wart auf Partys und habt immer bloß wiederholt, dass ich das alles nicht so persönlich nehmen soll. Und als Julia tot war, hatte ich niemanden mehr.«
    Tränen tropfen auf den Steinfußboden und machen winzige Geräusche bei ihrem Aufprall, die kaum zu hören sind.
    » Ich weiß nicht«, sagt Sebastian unsicher, » war das alles etwa unsere Schuld? Willst du das sagen?«
    » Nein. Nein. Ich weiß nicht, wessen Schuld das war. Ist im Grunde ja auch egal. Ich muss endlich aufhören, jemandem die Schuld geben zu wollen. Egal, für was.«
    » Ida, du bist jetzt vierundzwanzig. Vielleicht solltest du langsam lernen, dass diese Dinge vorbei sind. Dass das alles alte Geschichten sind. Die Mädchen von vorhin sind doch alle nie hier rausgekommen. Sitzen immer noch in den gleichen Cafés wie früher und stöhnen über ihre Jobs. Du kannst nicht dein halbes Leben damit verbringen, auf Dinge wütend zu sein, die nicht mehr existieren. Du hast mit dem Leben dieser Mädchen nichts mehr zu tun. Und sie nichts mit deinem. Das sind alles Geschichten und Stimmen, die nur in deinem Kopf existieren. Das ist aber alles vorbei. Es ist vorbei.«
    Er lehnt sich zu mir herüber, lehnt sich ganz nah an mein Gesicht und senkt dann seinen Kopf, küsst meine Hand. » Ich hoffe, die tut nicht mehr weh. War ’n ordentlicher Schlag.« Er grinst.
    Ich sehe zu ihm hinauf.
    » Bis nächstes Jahr, Ida. Oder das darauf. Oder das darauf. Mach’s gut.«
    Er verschwindet in der Dunkelheit, und ich schließe leise die Tür auf, schleiche die Treppenstufen auf Zehenspitzen in mein Zimmer hinauf und lege mich in mein quietschendes Bett– mit einem Lächeln auf dem Gesicht.

Siebenundzwanzig
    I n diesem Raum an diesem Ort bin ich Jahrzehnte aufgewacht. Und eingeschlafen. An diesem Morgen ist das Zimmer ohne Sauerstoff– und voll von Erinnerungen aus einer Zeit, die mir vorkommt, als sei sie der Gedanke einer anderen, der erzählt und geteilt in meinem noch ganz benommenen Kopf zu dem heranwächst, was ich nun glaube zu sehen.
    Da ist das alte blaue Ledersofa, auf dem sie alle saßen. Peer und Sebastian und auch Julia. Nur sie. Nur sie allein. Niemals ich, wenn sie da waren. Ich saß immer zu ihren Füßen, auf den alten Dielen auf einer Decke, die ich mir schnell um die frierenden Füße schob. Es war immer kalt in diesem Haus, egal wie sehr wir heizten, weil die alten Wände alle Wärme fraßen und sich damit vollsogen, als wären sie es gewesen, die eigentlich die Decken und Kissen benötigten, die wir uns immerzu vor und um die Körper pressten.
    Da ist der alte Eichenschrank, aus dem Kleidung quoll, als hätte meine Mutter sie nicht unermüdlich jede Woche bis zu meinem Auszug aufs Neue ordentlich gefaltet dort hineingelegt. Doch das war mir egal, so egal wie der Ausblick aus dem Fenster irgendwann wurde, der alle zum Staunen brachte, aber mich nur noch anwiderte. Der Wald vor

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