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Drüberleben

Drüberleben

Titel: Drüberleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Weßling
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dem Fenster widerte mich an, genau wie die Äcker dahinter. All das stand für das Leben, das ich so hasste und dem zu entkommen mir so schier unmöglich erschien.
    Das Licht in diesem Zimmer war über die Jahre unverändert geblieben, als hätte jemand einen Scheinwerfer aufgestellt, der im immer gleichen Winkel mit der immer gleichen Helligkeit das Zimmer bestrahlte, tagein, tagaus– nur war es kein Scheinwerfer gewesen, sondern die Sonne, die Wolken, der Tag, der mir stets gleich vorgekommen war.
    Das alte Bett, in dem ich mich jetzt aufrichte, quietscht sein vertrautes Geräusch, und für einen Moment kann mein Verstand nicht begreifen, dass er hier ist, hier in diesem Bett, in diesem Zimmer, in diesem Leben. Und wie sehr sich dieses Zimmer nicht verändert hat, nur immer leerer wurde und immer karger, als wären mit jedem Jahr ein paar Teile mehr verschwunden, bis am Ende nur noch ein Skelett des Lebens übrig blieb, das ich hier zwei Jahrzehnte lang geführt habe.
    Jedes Mal bin ich erschrocken ob der Unveränderlichkeit mancher Dinge in all den Veränderungen um sie herum: Dieses Zimmer wird immer das Fragment meiner Erinnerungen bleiben, egal, wie leer es geräumt wird, und egal, wer etwas daraus entfernt oder mitnimmt, egal, ob am Ende nur noch die Wände des Raumes stehen. Es wird immer dieses eine Zimmer bleiben, in dem ich so viele Augenblicke lang die Augen geschlossen und geöffnet habe und nichts sehen konnte vor lauter Erinnerungen, die schon im Jetzt zu etwas Altem geworden waren, das mich zu erdrücken schien.
    Und dabei spielt es keine Rolle, wer der Mensch ist, der das Zimmer betritt. Es wird immer gleich bleiben, egal wie sehr ich mich ändere, verändere, drehe, um mich schlage.
    Und selbst das Gefühl beim Betreten dieses Raumes hatte sich nie geändert: ein Gefühl, das ich bei jedem einzelnen Besuch aufs Neue zum ersten Mal zu spüren glaubte. Jedes Mal wieder glaubte ich, noch niemals in dieser oder jener Verfassung die Tür geöffnet zu haben. Jedes Mal wieder lächelte ich überheblich, weil ich glaubte, sehr viel erwachsener und reifer geworden zu sein, und zwar so reif und so erwachsen, wie ich es noch niemals zuvor gewesen war, und jedes Mal verglich ich das Zimmer mit den Wohnumständen, in denen ich aktuell lebte, mit der WG , mit der Ein-Zimmer-Wohnung, mit der Wohnung, in der ich jetzt lebte. Und jedes Mal glaubte ich einen immensen Fortschritt zu verspüren, den ich gemacht hatte, jedes Mal wieder glaubte ich an das ultimative Neue eines Gefühls, das in Wahrheit so dermaßen abgenutzt war und das ich am besten schon nach dem ersten Mal zur Seite hätte legen sollen, es ablegen und abstreifen.
    Im Grunde tat ich nämlich nur die Schritte, die einfach » angemessen« waren, die einfach meinem natürlichen Prozess des Älterwerdens entsprachen, und jedes Mal glaubte ich, dass ebenjene irgendwie besonders, irgendwie herausragend seien. Und all das stellte sich jedes Mal als völlig falsch heraus, wenn ich die Tür hinter mir zuzog und wieder in die Stadt fuhr, in der meine Wohnung gerade lag.
    Die Hoffnung, dass ich mich verändert haben würde, grundlegend verändert, so grundlegend, dass ich von einem » weiterkommen« sprechen konnte, hat sich nie bestätigt. Auch dieses Mal nicht. Diese Erkenntnis ist keine neue, keine, die zu einem grundlegenden Wandel führen würde, und trotzdem ist sie niederschmetternd und bitter, böse und bitter.
    Ich bin vierundzwanzig Jahre alt und starre die Deckenbeleuchtung meiner Kindheit, meiner Jugend, meiner twentysomethings an und stelle mit unabänderlicher Gewissheit erneut fest, dass ich noch immer Ida Schaumann bin, dass ich es noch immer nicht geschafft habe, aus diesem Käfig, den ich mir selbst aus Scheitern und Angst und Bange gebaut habe, auszubrechen. Dieses Gefühl würgt und brennt und lockt wie eine Pflanze, deren weit aufgerissenes Maul mich, das Insekt, ruft und deren Gefährlichkeit mir so wohlbekannt ist wie ein alter Vertrauter, der mit der Pistole hinter dem Rücken schon darauf wartet, mich erneut so sehr abzuknallen, dass ich mit einer schmerzenden Wunde in den Knien auf dem Boden der Realität lande. Jedes Mal wieder sinke ich zusammen ob des Aufpralls der Kugeln aus Realität und Scheiße und Gewissheit und Zeit.
    Ein Raum konnte durchaus diese Qualitäten besitzen, weil einzig er statisch blieb in all dem Wandel, den ich glaubte zu durchleben, in all der Bewegung, die ich glaubte zu überstehen. Dieser Raum war der

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