Druidenherz
Oder war ihr Gälisch doch nicht so gut, wie sie gehofft hatte, und sie hatte etwas missverstanden? Bei Expeditionen oder Arbeiten an gefährlichen, nicht leicht zugänglichen Stellen war es sicherlich sinnvoll, wenn man einen Sanitäter oder Arzt mitschickte. Wie groß die Verletzungsgefahr in diesem Gebiet war, hatte sie ja schmerzhaft am eigenen Leib erfahren müssen. »Und was machen du und die anderen hier unten?«
Wieder blickte er sie verständnislos an.
Imogen unterdrückte ein Seufzen. »Es muss doch einen Grund dafür geben, dass du dich unter der Erde befindest.« Hoffentlich hatte sie sich nun deutlich genug ausgedrückt. Es war wirklich nicht einfach, mit jemandem zu reden, der kein Wort Englisch verstand.
»Ich lebe hier.«
Ja, so weit waren sie ja eben schon gewesen. »Also schön«, begann Imogen, »du befindest dich zusammen mit einigen anderen unter der Erde. Und das wohl schon seit längerer Zeit. Warum?«
»Weil ich hier lebe. Ebenso wie die anderen.«
Hätte sie die Energie dazu gehabt, hätte Imogen vor Zorn laut geschrien oder mit den Fäusten auf die Liege getrommelt. Es war so frustrierend, sich nicht richtig unterhalten zu können. »Und wo ist hier?«, hakte sie nach und versuchte, weiterhin freundlich zu klingen. Er konnte ja auch nichts für die Sprachbarriere.
Dian sah sie fragend an, doch Imogen wurde den Eindruck nicht los, dass er ihr etwas verschwieg. Warum? War dies hier vielleicht doch ein Verbrecherversteck und Dian der Einzige mit Anstand? Die Männer, die sie gefunden und die Hunde auf sie gehetzt hatten, waren eindeutig Kriminelle. Mehr als das: völlig durchgeknallte Kriminelle, die eher in eine geschlossene Anstalt denn ins Gefängnis gehörten. Was den spitzohrigen Diener anging, so war sich Imogen nicht sicher, in welche Kategorie er fiel. Außer natürlich in die der Freaks.
»Kannst du mir denn nicht irgendeine Antwort geben?«, fragte Imogen. »Eine, die nicht noch mehr Fragen aufwirft. Zum Beispiel, wann ich endlich zurück an die Oberfläche kann.«
»Das weiß ich nicht. Lass mich deine Wunden ansehen und neu verbinden.« Er legte eine Hand an ihren verletzten Arm. Warm, stark und beruhigend.
Imogen nickte. Wahrscheinlich wäre es besser, sie würde die Augen schließen, aber dazu war sie zu neugierig. Außerdem hatte sie die Verletzungen bereits gesehen. Sehr viel schlimmer konnten sie inzwischen wohl kaum aussehen.
Vorsichtig löste Dian die Verbände, holte sich eine archaisch anmutende Talglampe und betrachtete die Wunden. Er hatte das Leinenhemd so weit hochgeschoben, dass es ihr verletztes Bein bis zum Oberschenkel freigab. Dians Blicken und Berührungen haftete nichts Sexuelles an.
Imogen biss sich auf die Unterlippe. Ein schöner Anblick war ihr Arm wirklich nicht, ebenso wenig wie das Bein. Sie wusste, dass die Bisse tief gegangen waren, und sie hatte eine vage Ahnung davon, was Dian getan hatte, um die Wunden zu reinigen und die Entzündung einzudämmen. Dennoch ließ der Gedanke sie schaudern. Gut, dass sie davon nichts mitbekommen hatte. Und lieber Narben zurückbehalten, als das Leben verlieren.
»Du musst nicht hinschauen«, sagte Dian sanft und fing ihren Blick ein.
»Ich bin nicht so zimperlich, wie du vielleicht glaubst«, erwiderte sie und hoffte, überzeugend zu klingen. Im Grunde machte ihr der Anblick von Blut oder Verletzungen nichts aus. Man reinigte die Wunde, klebte ein Pflaster drüber und fertig. Aber das hier war doch weitaus mehr, als sich das Knie aufzuschlagen oder an einem scharfkantigen Dosendeckel zu schneiden.
»Ich kann aber besser arbeiten, wenn du mir nicht zusiehst. Und wenn du dabei liegst.«
Sie glaubte ihm kein Wort, ließ aber dennoch zu, dass er sie behutsam auf das Lager zurückdrückte. Das Schwindelgefühl ließ sofort nach. Imogen hielt den Blick an die kahle Decke gerichtet. Nicht einmal eine Vorrichtung für eine Lampe gab es hier, keine Sprechanlage, nichts. Sie schielte an sich hinunter und sah zu, wie Dian erst ihr Bein und dann den Arm versorgte.
Dian arbeitete schnell und geschickt. Es war offensichtlich, dass er auf diesem Gebiet viel Übung hatte. Er trug eine leicht nach Kräutern riechende Salbe auf und legte neue Verbände an. Ein Notbehelf? Oder hätte man ihr in einem Krankenhaus die gleiche Behandlung zuteilwerden lassen? Und wie sah es hier überhaupt mit der Hygiene aus? Steril war dieser Raum sicherlich nicht, zudem trug Dian keine Handschuhe. Auch der typische Desinfektionsmittelgeruch
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