Drunter und Drüber
ein brandneues, leuchtend rot lackiertes Rennboot und er wäre nicht älter als Tate.« Sie lachte leise auf. »Wahrscheinlich würde er eher in rosa Rüschen durch die Gegend laufen als es zuzugeben, aber man hat es ihm überdeutlich angesehen, Char, und am liebsten hätte ich ihm dafür die Arme um den Hals geschlungen und ihn geküsst.«
Char blinzelte die Freundin über den Rand ihrer Sonnenbrille hinweg an. »Und warum hast du es nicht getan?«
»Verdammt. Es war einfach ein erschreckender Gedanke. Schließlich kann ich mich nach der Sache mit Tony auf meine Urteilskraft in Bezug auf Männer nicht unbedingt verlassen.«
»Um Himmels willen, Dru, damals warst du neunzehn! Nächsten Monat wirst du dreißig, und ich nehme an, dass deine Fähigkeit, den Charakter eines Mannes zu beurteilen, mit den Jahren durchaus zugenommen hat.«
»Das sollte man zumindest meinen. Ich bin sicher, dass das auf die meisten Frauen auch tatsächlich zutrifft. Aber bei mir bin ich mir absolut nicht sicher.«
»Na und? Dann willst du es also nicht einmal versuchen? Dann willst du also nicht mal gucken, wohin die Sache vielleicht führt? Das Schlimmste, was dir passieren könnte, wäre, dass er dich früher oder später flach legt.«
»Nein, das wäre das Beste, was mir passieren könnte. Ich erinnere mich daran, dass mir Sex durchaus gefallen hat, und sicher ist es dasselbe wie beim Fahrrad fahren – egal, wie lange man es nicht mehr getan hat, fällt einem automatisch alles wieder ein. Nein, das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, dass ich die Zeichen der Verletzlichkeit, die ich bei ihm zu sehen glaube, falsch deute, und dass er mir genau wie Tony das Herz bricht. Ich habe zu viele Jahre damit zugebracht, Tate und mir ein angenehmes, ruhiges Leben einzurichten, um mich jetzt blind in einen emotionalen Abgrund stürzen zu können.«
»Eine wirklich tolle Metapher. Vielleicht ein bisschen pessimistisch, aber äußerst bildhaft.«
»Ach ja?« Dru musterte Char nachdenklich. »Ich gebe unumwunden zu, dass ich bei dem Gedanken panisch werde, mein emotionales Gleichgewicht durch eine Beziehung mit J.D. Carver zu gefährden. Aber wenigstens leugne ich nicht, dass zwischen uns beiden irgendetwas ist.«
Wodurch das Gespräch beendet wurde, denn Char war nicht bereit, in Bezug auf sich und Kevin ebenso weit zu gehen. Trotzdem dachte Dru später, als sie wieder allein war, noch einmal gründlich über die ganze Sache nach.
War sie wirklich feige, weil sie es nicht einmal versuchte? Vielleicht hatte J.D. tatsächlich die Tiefe, die sie ihm inzwischen zuschrieb. Tate war verrückt nach ihm und Tante Sophie schien ihn ebenfalls zu mögen.
Natürlich war Tate auch verrückt nach Schlangen und Tante Sophie war ein Opfer ihrer peinigenden Hormone und verfügte deshalb sicher nicht über die beste Urteilskraft der Welt.
Verträumt dachte sie an den verführerischen Anblick von J.D. mit seinem Werkzeuggürtel, wie er all die Dinge reparierte, die bereits vor Monaten kaputt gegangen waren. Dann jedoch riss sie sich zusammen.
Ein Talent als Schreiner war sicherlich kein Grund, sich mit einem Typen einzulassen, mit dem man ansonsten fast nur Scherereien hatte. Es gab jede Menge Handwerker in Star Lake, die die gleiche Arbeit machten ... auch wenn keiner von ihnen besonders zuverlässig war. Nein, J.D. war ganz bestimmt die Garantie für elendigen Herzschmerz.
Also wäre es vernünftig, ihn weiträumig zu meiden, bis sich ihr Verlangen nach ihm legte.
Und sie war eine durch und durch vernünftige Person.
12
W ährend der folgenden paar Tage ging Dru J.D. tatsächlich erfolgreich aus dem Weg. Sie sah ihn ein paarmal aus der Ferne, aber glücklicherweise arbeitete sie für gewöhnlich nachmittags im Hotel, so dass sie, wenn seine Abendschicht im Restaurant begann, längst nicht mehr im Haus war.
Doch natürlich hörte sie von ihm. Es wäre wohl zu viel gewesen, etwas anderes zu hoffen. Tate besuchte ihn am Montag, um ihn mit einem ausführlichen Bericht von seinen Abenteuern mit Billy zu unterhalten, und J.D. gestattete ihm, ihm beim Abschmirgeln des Kanus zu helfen.
Während der Arbeit sprachen sie ausführlich über das Boot. Es stellte sich heraus, dass es aus aneinandergeklebten Zedernholzstreifen konstruiert war, die nicht ordentlich in Stand gehalten worden waren. J.D. erzählte Tate von Längsrissen und von Rissen im Kiel und klärte ihn über die richtige Beschaffenheit von Vordersteven, Dollbord, Ruderbank und anderen Dingen
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