Drunter und Drüber
Bericht zu wenden, drückte sie auf den Knopf. »Ja?«
»Dru, ich bin es, Sally. Ich habe hier vorne eine Karte, die Tate und sein Freund für Sie abgegeben haben, und außerdem haben Sie Besuch. Haben Sie Zeit, um Kev Bronsen zu empfangen?«
»Kev?« Sie richtete sich auf. »Ja, sicher, schicken Sie ihn rein.«
Es schien, als hätte sie gerade erst den Finger vom Knopf der Anlage genommen, als er bereits den Kopf durch den Türspalt streckte und sagte: »Ich hoffe, dass ich nicht allzu ungelegen komme. Du hast sicher alle Hände voll zu tun.«
»Da ich das Mittagessen habe ausfallen lassen, könnte ich durchaus eine Pause brauchen.« Sie lächelte ihn an, da es sie wirklich freute, dass er gekommen war. Sie hatten immer eine herrlich unkomplizierte Beziehung zueinander gehabt. »Wollen wir rüber ins Nest und uns dort ein Sandwich genehmigen?«
»Das wäre super.«
Wenig später saß sie ihm gegenüber an einem kleinen Tisch und musterte ihn genauer. Kev war zwar von klein auf gut aussehend gewesen, aber nun verströmte er obendrein noch eine Eleganz und Weltgewandtheit, die ihm als Teenager natürlich noch nicht gegeben gewesen war.
Er streckte seine langen Beine seitlich in den Gang, damit niemand darüber stolpern konnte, wippte mit seinem Stuhl nach hinten und betrachtete sie mit einem schiefen Grinsen. Als sie stumm blieb, zog er fragend die Brauen in die Höhe. »Was ist?«
»Ich habe gerade gedacht, wie weltmännisch du aussiehst. Wir müssen dir doch jetzt wie die reinsten Landeier erscheinen.« Ihr Blick glitt beziehungsvoll über seine teuer geschnittenen braunen Haare und die legere Mischung aus feinem Kaschmirpullover und urigen Levis.
»Während meiner ersten Jahre in der Stadt hätte ich dir sicher zugestimmt«, gab er schulterzuckend zu. »Zu der Zeit war ich ziemlich eingebildet und ungeheuer stolz darauf, es von hier fortgeschafft zu haben. Aber inzwischen habe ich gelernt, dass die Menschen überall ähnlich sind und dass einen etwas von dem grundlegenden Anstand, den die Leute hier besitzen, auf lange Sicht weiter bringt als die oberflächliche Weltgewandtheit vieler Leute in der Stadt. Glaub mir, Dru, wenn man an deren Oberfläche kratzt, kommt darunter in neun von zehn Fällen irgendein armer Teufel mit einer Wagenladung voller Probleme zum Vorschein.«
Er klang derart desillusioniert, dass sie sich beeilte, möglichst trocken zu erwidern: »Ich an deiner Stelle würde die Leute vom Land nicht vorschnell in die romantische Schublade stecken. Du kannst dich doch sicher noch daran erinnern, dass auch hier nicht jeder so anständig ist wie du.«
Er lachte. »Glaub mir, die brodelnde Gerüchteküche von Star Lake kann man nicht vergessen.« Er musterte sie ebenso gründlich wie sie ihn. »Zum Beispiel macht das Gerücht die Runde, du und dieser Carver hättet euch auf seiner Veranda geküsst.« Er schnaubte vorwurfsvoll. »Ich dachte, du hättest einen besseren Geschmack.«
»Also bitte«, empörte sich Dru. »Und das von dem Kerl, der auf der High School ein ganzes Jahr lang hinter Terry MacMann her gewesen ist. Erzähl mir also bitte nichts von gutem Geschmack.«
»Hey, sie hatte wirklich tolle Titten und hat mir auf dem Rücksitz von Dads Chevy ziemlich viele Freiheiten gewährt. Besser hätte es für mich also nicht laufen können.« Die Erinnerung zauberte ein wehmütiges Lächeln in sein gut geschnittenes Gesicht. »Was ist übrigens aus ihr geworden?«
»Irgendwann kam sie auf den religiösen Trip und seither unterrichtet sie an der Sonntagsschule in Yakima. Wie ich hörte, trägt sie inzwischen orthopädische Schuhe und hat einen ganzen Stall voller Kinder.«
»Wow«, antwortete er verschreckt und klang dabei fast wie Tate, als sie ihm erklärt hatte, er dürfe zum Mittagessen keine Limonade trinken. »Was für eine Vergeudung.« Dann grinste er erleichtert. »Du hast mir echt gefehlt, Dru. Es ist schön, dich wieder zu sehen. Was hältst du davon, am Freitagabend mit mir in den Red Bull zu gehen und der Dorfjugend dort zu zeigen, wie man richtig tanzt?«
»Klingt gut. Ich habe schon viel zu lange nicht mehr getanzt.« Dann dachte sie an die Elektrizität, die zwischen ihm und Char geknistert hatte, daran, dass sie und die Freundin sich bereits auf der Schule feierlich versprochen hatten, sich einander im Bezug auf Kerle nie ins Gehege zu kommen, und fügte hinzu: »Allerdings muss ich erst checken, wo ich Tate solange unterbringen kann.«
»Kein Problem. Du weißt, wo ich
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