Dryadenmacht (Dryaden-Saga) (German Edition)
unbehaglich, das sah Leo deutlich – immerhin kannten sie sich lange genug. Aber war das ein Wunder? Ihm selbst ging es ja auch nicht besser. Vielleicht war er sogar noch nervöser, denn für Ronan als Wolf hatte ein gegebenes Wort eine andere Bedeutung als für einen Gager. Wenn ein Wolf sagte: Ich tue dir nichts, versprochen, dann meinte er das auch so; soviel hatte er in all den Jahren mitbekommen. Aber bei einem Gager war das so eine Sache. Die waren in einem Moment fest von etwas überzeugt – und im nächsten Moment genauso fest von etwas anderem. Das hatte er erst heute bei der Sache mit der Sommerweide wieder erlebt.
Das Tor kam in Sicht und Leo starrte mit Grausen auf den tiefen Riss, der sich von den zwei Ställen im Inneren des Dorfes bis hier her zog. Auch Ronans Blick war an der Schlucht hängen geblieben.
„Krass, oder?“ flüsterte er.
„Total. Ich bin nur froh, dass du so etwas spürst, genau wie die Pferde, sonst wäre ich umgekommen vor Angst.“
Ron an legte ihm die Hand auf den Arm, sie war eiskalt. Hoffentlich wurde er nicht krank. Was hatte er sich nur dabei gedacht, ihm das Versprechen abzunehmen sich nicht zu verwandeln? Er hätte wissen müssen, dass der Winter bald kam. Blaus Fell war dicht geworden und er hatte gefressen wie ein Scheunendrescher.
Am Tor tat sich etwas. Fellen stand im Schnee und winkte.
„Jetzt wird´s ernst“, flüsterte Ronan.
Leo nickte. Er konnte nur hoffen, dass Fellen und die anderen Aufseher es sich nicht anders überlegt hatten.
Fellen rief:
„Öffnet das Tor!“
Sie öffneten nicht nur den kleinen Durchlass, nein.
Acht Gager sprangen herbei, zerrten die Flügel des Tores auseinander wie für einen Staatsbesuch.
Gatter stand im Inneren und strahlte Leo an, als sähe er seinen geliebten Sohn nach sechs Jahren zum ersten Mal wieder, er war ein guter Schauspieler, das musste man ihm lassen. Die anderen Einwohner Gagreins mussten nahezu vollständig versammelt sein, denn hinter Gatter drängten sich die Menschen in dichten Trauben, nur aufgehalten von der Absperrungen, die aus Springhindernissen in fröhlichem rot-weiß-rot bestanden.
„Leute, begrüßt euren neuen Häuptling, Röwe von der Weiden, Sohn des Trog von der Weiden und von Äpfelchen, die wir alle schmerzlich vermissen. Begrüßt den Retter eurer Herde, ohne den viele von euch heute ihr geliebtes Pferd verloren hätten!“
Die Menge applaudierte, Jubelrufe brandeten auf. Gatter reckte die Arme in die Höhe. „Erweist dem Hel den die Ehre, der uns in diesem Krieg leiten und unsere Pferde beschützen wird!“ rief Gatter noch lauter, damit seine Stimme in all den Jubelrufen nicht unterging.
Die Gager an der Absperrung waren außer Rand und Band.
Sie begannen, Möhrengrün auf den Weg zu werfen, den Leo, Hafer und Ronan gingen, was ihn fast zu Tränen rührte. Die Winterwurzeln hielten ohne das Grün nur halb so lange, da überlegte man es sich zweimal, ob man etwas davon für solch einen Firlefanz opferte, selbst zu Trauungen warfen die Leute recht sparsam, aber heute war der ganze Weg voll, der Schnee war nahezu verschwunden unter dem frischen Grün.
„Hier stinkt es nach Wolf!“ schrie einer der Gager am Rand.
Bis zu diesem Moment hatten alle Leute nur Augen für Leo gehabt und Ronan nicht beachtet, und Leo war das mehr als Recht gewesen. Doch nun wendete sich das Blatt. Einige Gager rannten vor das Tor und suchten die Umgebung ab, doch die, die am nächsten standen, reckten ihre Nasen in die Luft und schnupperten in die richtige Richtung.
Gatte r rief so laut er konnte:
„Freunde. Freunde! Der Junge ist ein Gefährte eures neuen Häuptlings, er hat lange bei den Wölfen gelebt, als - als Botschafter, deshalb riecht er etwas streng, aber es geht keine Gefahr von ihm aus.“ Gatter warf sich in die Brust, bis er breiter wirkte als Fork. „Hört ihr, er ist ganz harmlos.“
Die Zeit schien stillzustehen. Leo beobachtete die Gager an der Absperrung, die ihm gerade noch zugejubelt hatten. Ihre Augen waren vor Angst weit aufgerissen, das Fell jedes Einzelnen gest räubt. Die Mütter schoben ihre Kinder hinter sich und die männlichen Gager ballten die Fäuste, standen schnell Rücken an Rücken.
Leos Herz klopfte zum Zerspringen. Wohl zum hundertsten Male fragte er sich, was er sich dabei gedacht hatte. Jeder einzelne Gagreiner hasste Wölfe so sehr, wie er sein Pferd liebte. Es war die falsche Entscheidung gewesen. Er nahm Ronans Hand.
„Ich glaube nicht, dass das gut geht,
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