Dryadenmacht (Dryaden-Saga) (German Edition)
nicht entziehen.
Starr vor Angst stand sie am Rand, wollte den ersten Fuß auf einen der Balken setzten , die sich bis zu ihrer Kante der Schlucht erstreckten, aber sie konnte es nicht. Dabei waren die Balken recht breit, breiter als auf dem Übungsgelände, jedenfalls. Wie tief ging es da hinunter? Das musste man doch herausfinden können? Das Gefühl, etwas tun zu können, löste die Starre.
Julie sah sich um, suchte einen Stein oder etwas Ähn liches. Tatsächlich fand sie hinter sich, beinahe ordentlich aufgereiht am Rand der Wand, einige helle kleine Kiesel, die ideal zu sein schienen. Julie nahm sich eine Handvoll Steine und warf den ersten in die Tiefe.
Er blieb eine ganze Weile als kleiner , heller Fleck sichtbar, entfernte sich aber rasch und verschwand schließlich ganz, ohne einen Laut auszulösen. Himmel, wie tief war diese verdammte Schlucht? Julie wollte gerade den nächsten Stein werfen, vielleicht war die Schlucht an verschiedenen Stellen unterschiedlich tief? - als ihr etwas auffiel: Der Balken sah schmaler aus als vorher. Sie trat an den Rand der Schlucht und stellte ihren Fuß an die gleiche Stelle, an der sie vorhin Maß genommen hatte. Tatsächlich, die Balken waren schmaler geworden. Julie wurde es erst heiß, dann kalt, schließlich lief ihr der kalte Schweiß den Rücken hinunter. Sie wog die Steine in der Hand. Es war kein Zufall gewesen, dass die Kiesel da so hübsch an der Wand bereit gelegen hatten. Wäre sie nicht so aufmerksam gewesen oder hätte sie gleich eine Handvoll Steine in die Schlucht geworden, wären die Balken nun nicht mehr dicker als Zahnstocher, da war Julie sich sicher. Sie lief zur Wand, legte die Steine ordentlich wieder ab. Zurück zur Schlucht ging sie langsam und vorsichtig.
Sie hatte das Gefühl des Abrutschens in dem Riss am Flussufer noch zu genau in Erinnerung, um hier ein Risiko einzugehen. Und w er wusste schon, was in dieser Höhle noch für böse Überraschungen lauerten?
Julie warf einen letzten Blick auf das gegenüb erliegende Ende der Kluft. Das war doch gar nicht so weit. Sie sammelte sich und unterdrückte alles, was sie störte. Ihre Gedanken. Ihre Angst. Die Schmerzen in Bein und Fuß. Tiefe Atemzüge halfen ihr, sich von all dem zu lösen und sich nur auf eines zu konzentrieren: den Spalt zwischen ihren Füßen und dem Boden. Julie spürte, wie ihre Füße den Kontakt zu dem glatten Steinboden verloren und die Zehen leicht nach unten abknickten, sicheres Zeichen dafür, dass sie in der Luft war.
Es hatte geklappt! Nun musst e sie die Konzentration für den Puffer unter ihren Füßen halten, obgleich sie die Energie in eine bestimmte Richtung lenkte. Julie suchte nach einem Bild in ihrem Inneren, das ihr dabei half, und sie fand eines von Tari. Tari, wie sie als winziges Ding die Kirschen von Baum geholt hatte. Tari, wie sie schlafend an der Dryadenquelle über dem Stein geschwebt hatte. So, wie das Bild von Duve ihr vorhin die Richtung gezeigt hatte, ließ Taris Bild Julies Versunkenheit so tief werden, dass sie ohne einen Gedanken an die Schwärze unter sich über das Balkenfeld schwebte und sicher auf der anderen Seite wieder auf dem felsigen Boden landete.
Julie konnte ihr Glück nicht fassen: Sie hatte vor diesem Hindernis so eine Angst gehabt, und sie war durchgekommen!
Julie wurde bewusst, dass sie bis zu diesem Moment davon überzeugt gewesen war, hier unten zu sterben. Aber nun, nach diesem Erfolg, glaubte sie tatsächlich daran hier wieder herauszukommen. Ein Teil der Anspannung fiel von ihr ab und furchtbare Müdigkeit machte sich in ihr breit. Der Fuß schmerzte wieder, sie wollte hier heraus, oder zumindest eine Pause machen, etwas trinken, essen, ausruhen. Sie nahm einen Schluck aus der Flasche an ihrem Gürtel. Das würde reichen müssen. Sie wusste nicht, wie viel Zeit noch blieb.
Vor ihr tauchte schon das nächste Hindernis auf. Die Wunde am Fuß hatte inzwischen angefangen, ganz eklig zu pochen, doch Julie unterdrückte den Wunsch, sich den Schnitt noch einmal genauer anzusehen. Es würde nichts ändern, nur Zeit kosten. Sie humpelte zur Treppe. Das Podest stand neben einigen Pfählen, die zwar höher waren als im Übungsgelände und nicht über weiche Matten am Boden verfügten, aber ansonsten der Anordnung entsprachen, die sie schon kannte. Das war gut. Julie sah nach oben. Wo waren die Säcke? Sosehr sie sich auch anstrengte, in der gelblichen Dämmerung an der Decke über ihr waren keine Säcke auszumachen, nur eine
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