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Dryadenzauber (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)

Dryadenzauber (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)

Titel: Dryadenzauber (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
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entkommen, als ob er uns veräppeln wollte, sich nur zum Schein fast hätte fangen lassen; aber dann habe ich ihn doch erwischt. War eigentlich ganz leicht …“
    Julies Laune hob sich. Sie waren ja bald an der Reihe, und der Hirsch schien noch ganz guter Dinge zu sein. Vielleicht war es doch nicht so aussichtslos, wie sie am Anfang gedacht hatte?
    Plötzlich gab es erschreckte Rufe und schrilles Gequieke. Swantje, Dolf und Tonia waren aus dem Wald gekommen, und Tonia reckte triumphierend die Hand mit der Beute hoch. Zum Entsetzen aller klebten an den silbrigweißen Haaren des Hirsches kleine Fleischfetzen; wer dicht dran war, konnte sehen, wie etwas Blut an Tonias gerecktem Arm herunterlief. In ihrer freien Hand hielt Tonia einen rot verschmierten Reißpfeil. Sie hatten dem friedlich äsenden Hirsch aus der Entfernung mit dem Pfeil, der eigentlich zum Befestigen von Seilen auf Vorsprüngen gedacht war, ein Stück Fleisch aus dem Bein geschossen.
    Es hatte keine Auflagen gegeben, wie das Haar gewonnen werden sollte, es wäre aber auch wohl keiner auf den Gedanken gekommen, dem Tier etwas zu Leide zu tun – bis auf Tonia. Wie ein Racheengel stand sie mit erhobener Faust in einer grausamen Siegerpose, während die Menge halbkreisförmig zurückwich. Anouk war fassungslos. Was für Tage würden Tallyn bevorstehen, wenn diese drei ihre Plätze im Rat einnähmen?
    Julie fing an zu weinen. Erst die Anspannung, dann die schlechte Ausgangsposition und jetzt auch noch das. Man würde die Jagd sicher abbrechen, es war vorbei. „Swantje und Tonia, ich hasse euch!“, fluchte sie mit aller Inbrunst – aber nur innerlich, nur für sich. Die beiden hatten ihr den Traum vom Leben in Tallyn zerstört. Fort von Go, fort von Mathys und Daan, zurück auf die Privatschule. Julie setzte sich ins Gras und weinte hemmungslos. Unbeholfen legte Mathys ihr den Arm um die schmalen Schultern, die von den herzzerreißenden Schluchzern geschüttelt wurden. Mitten in diese Untergangsstimmung platzte Daan, ein größeres Leinensäckchen in der Hand, mit einem fröhlichen „Ich habe, was ich wollte“ herein. Es dauerte eine Weile, bis Julie und Mathys ihm erzählt hatten, was vorgefallen war. Als die beiden fertig waren, sah Mathys das Gesicht seines Freundes zum ersten Mal in brennendem Rot: Daan war wütend!
    Anouk sagte mit klarer Stimme, die in die hintersten Winkel drang: „Keiner geht in den Wald, bis ich es sage. Und ihr da“, sie zeigte auf Swantje, Tonia und Dolf, „schämt euch!“ Mit gebeugten Schultern und hängendem Kopf – so niedergeschmettert hatte Julie Anouk in der ganzen Zeit kein einziges Mal gesehen – ging Anouk in den Wald. Als ihre zierliche Gestalt zwischen den Bäumen verschwunden war, hob wieder aufgeregtes Gemurmel an. Allerdings traute sich auch keiner, einen der drei grausamen Jäger anzusprechen. So standen die Anwärterinnen und ihre Gefährten in kleinen Grüppchen herum und stellten Vermutungen an, ängstlich darauf bedacht, dem Trio mit Tonia nicht zu nahe zu kommen. Erst nach einer Ewigkeit entstand am Rand des Waldes Bewegung. Anouk kam aus dem blaugrün leuchtenden Dickicht am Waldrand hervor. Ohne ein Wort ging sie zu den drei Tierquälern und berührte jeden von ihnen; im nächsten Moment waren sie allesamt verschwunden.
    Daan sprang erregt auf. „Ich gehe jetzt nachsehen“, sagte er. Mathys hielt ihn fest. „Warte, du hast doch gehört, was sie gesagt hat!“
    „Und wenn er verletzt ist und Hilfe braucht? Er hat mir das Leben gerettet, soll ich jetzt hier herumstehen und nichts tun?“
    Mathys versuchte es noch einmal: “Du hast gehört, was Anouk gesagt hat, wir sollen nicht in den Wald gehen.“
    „Und was soll passieren, hm? Schmeißen sie uns aus dem Wettbewerb? Ich verrate dir mal was, wir sind schon draußen. So lassen die uns den Hirsch sowieso nicht jagen. Du weißt, dass der Trank mit Abstand am stärksten wirkt, wenn der ihn verabreicht oder nimmt, der ihn zubereitet hat. Die erlauben nie, dass sie mit dem schwachen Trank von einem der Ausgeschiedenen an der letzten Prüfung teilnimmt. Das ist doch viel zu gefährlich. Es ist vorbei. Aber ich kann wenigstens nach dem Hirsch sehen, das bin ich ihm schuldig.“ Unter den fassungslosen Blicken der anderen Jugendlichen ging Daan in den Wald. Julie und Mathys sahen sich an. Julie war hin- und hergerissen, wusste nicht, mit wem sie ihre letzten Stunden in Tallyn verbringen sollte. Sollte sie zu Go in den Stall gehen? Oder bei Mathys

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